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habe sich bemüht, den Vorwurf der Theorielastigkeit zu entkräften. Man
wolle das korporative System organisch wachsen lassen, habe allerdings
Bedenken gegen die Autonomie der Korporationen. Das eigentlich Neue am
Korporativismus seien eine Milderung des Konkurrenzkampfs, der Zwang
zur Solidarität und das Ziel, einer neuen Wirtschaftsgesinnung zum Durch-
bruch zu verhelfen. Mussolini gebühre Anerkennung, weil er einen rein
„wirtschaftlichen Menschen“ nicht kenne, sondern nur den „integralen“: Dies
sei ein „humanes Element“; überhaupt sei das Ziel des Korporativismus der
Mensch.890
Beachtung verdient außerdem eine 1934, im Anschluss an die Errichtung
der Korporationen, im StL publizierte Darstellung des italienischen Korpo-
rativsystems durch Hubert Hager. Der Aufsatz beschreibt die Struktur jeder
einzelnen Korporation und enthält grundsätzliche Äußerungen zu den Hin-
tergründen des Systems. Zwar wird darin nicht behauptet, dass am Faschis-
mus bereits alles „optimal“ sei, aber die in 15 Jahren erzielten Fortschritte
dürfe man nicht übersehen. Daher sei zu wünschen, dass auch „wir Deutsche
das faschistische System als Vorbild betrachten“.891 Diesem Anliegen diente
Hager durch mehrere 1935 für das StL verfasste Rezensionen von Büchern
italienischer Autoren über Aspekte der italienischen Wirtschaftspolitik.892
Selbst dass der italienische Faschismus staatssozialistische Züge aufweise,
stellte er in Abrede.893 Er warnte allerdings vor einer „Vergötterung des
Staates“ auf Kosten der „Mannigfaltigkeit des völkischen Lebens“.894
1934, im selben Jahr wie Hagers Aufsatz über das Korporativsystem, er-
schien im CS ein mit Weltanschauung und politische Form in der italieni-
schen Verfassung überschriebener Beitrag von Heinrich A. Chappell, in dem
Mussolinis Leistung als eine „richtunggebende, in höchstem Sinne politische
und staatsschaffende wie staatserhaltende“ bezeichnet wurde. Nicht zuletzt
faszinierten den Autor die „Erfolge“ des Faschismus; daher müsse Italien
„vom Ziele, nicht mehr [...] vom Wege her“ gesehen werden. Für den Faschis-
mus, so im Rekurs auf Guido Bortolotto, liege der „Sinn der Revolution in
der staatsschaffenden Evolution“. Die Verfassung sei „das Herz, nicht das
Gerüst der Staatsordnung“, der Korporativismus ein System des Ausgleichs
von Gegensätzen als dialektischer Prozess, „die Materie der sich gestalten-
den Staatskunst“. Aus den italienischen Erfahrungen müssten auch für Ös-
terreich geeignete Konsequenzen gezogen werden. Hierbei trat Chappell für
890 CS 17. 12. 1933 (R. del Giudice).
891 StL 1934, 421–429 (H. haGer).
892 StL 1935, 272 f., 424 (H. haGer).
893 StL 1934, 427 (H. haGer).
894 StL 1935, 526 (H. haGer).
3.5 DIE NACHBARSCHAFT DES FASCHISTISCHEN ITALIEN 151
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580