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ein dynamisches Prinzip ein, dem zufolge „Verfassung aus dem politischen
Leben immer neu geschaffen werden muss“. Dass in Österreich der alte
deutsche „Reichsständegedanke“ gelte, begründe die „Wesensunterschiede“
zwischen dem italienischen und dem österreichischen System. Der Consiglio
nazionale delle corporazioni könne nicht einfach nachgeahmt werden, weil er
vor den Korporationen geschaffen worden sei, also von oben. Vor allem aber
fehle dem Faschismus „die letzte Rückbeziehung, die Österreich [...] in der
christlichen Idee [...] gefunden hat“. Als „inneres System des Ausgleichs aller
Kräfte und ihrer Zusammenfassung in einer jeweils höheren Einheit“ sei er
noch nicht voll entwickelt: Bis dies der Fall sei, müsse Mussolini Diktator
bleiben.895
Ebenfalls 1934 veröffentlichte Hans von Hortenau in Wien eine 46 Sei-
ten starke, durch ein Geleitwort von Vizekanzler Emil Fey in gleichsam
„offiziellen“ Rang erhobene Broschüre über den Faschismus als Modell für
Österreich. Schon der Titel des in die Reihe Österreichische Volksschriften
aufgenommenen Werks verrät das Anliegen: Ein kraftvolles Österreich. Der
Faschismus als Vorbild. In sieben Kapiteln wurden in eindringlicher Spra-
che völlig unkritisch die Vorzüge von Mussolinis System gewürdigt, das als
Vorbild für alle Staaten gelten könne:896 Faschismus, die Volksbewegung (S.
11–15: übermächtiger, mit der Nation identischer Staat), Der Faschismus
verbessert den Menschen und sein Werk (S. 16–20: Idealisierung des Sports),
Der Faschismus bekämpft die Arbeitslosigkeit (S. 21–25: Aufzählung von
Großprojekten), Der Faschismus nützt die Hilfsquellen eines Landes voll aus
(S. 26–31: Nennung der Branchen, an denen in Österreich gearbeitet werden
müsse), Der Faschismus macht Ordnung im Inneren und nach außen hin (S.
31–35: Expertentum statt „Parteiengewirr“), Der Faschismus ist die Partei
der Jugend (S. 36–41: geschlechtsspezifische Werterziehung), Der Faschis-
mus und der Charakter des Österreichers (S. 42–46: Tatkraft gegen Intellek-
tualität).
Von völlig anderem, wenn auch gegen teilweise unkritische Verherrli-
chung des Faschismus (oder besser: Mussolinis) keineswegs gefeitem intel-
lektuellen Format war Adolf Menzel, der 1935 das Buch Der Staatsgedanke
des Faschismus. Eine geistesgeschichtliche Untersuchung vorlegte. Der
Wiener Staatsrechtler hielt den italienischen Faschismus für „eine große
Neuschöpfung des Geistes und der Politik“ (Vorwort) und sprach von einer
neuen Weltanschauung „auf dem Boden einer idealistischen Philosophie“.897
Als solche sei der Faschismus aristokratischer Natur, während der empiris-
895 CS 25. 2. 1934 (H. A. chaPPell).
896 v. hortenau, Ein kraftvolles Österreich, 15.
897 brauneder, Leseverein, 308; E. melichar, Adolf Menzel, 225 f.; J. reiter, Entstehung, 32.
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN152
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580