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mit der Nation identische Größe verstand. Er umfasse das Leben des Men-
schen in jeder Hinsicht, „total“, und werde von der Spitze aus autoritär ge-
leitet. In Gestalt des Hinweises, dass die im faschistischen Staat vereinten
Begriffe „autoritär“ und „totalitär“ keineswegs per se identisch seien, klingt
Kritik an. Hinsichtlich des ebenfalls sehr eigenwilligen Verständnisses von
Gewaltenteilung als Arbeitsteilung berief sich Menzel auf Alfredo Rocco.
Den korporativen Aufbau bezeichnete er als „Eingliederung der Gesellschaft
in den Staat“: Dieser langwierige Prozess sei noch im Gange. Die Korpora-
tionen beschrieb Menzel als Zwischenglieder zwischen dem Einzelnen und
dem Staat.
Kritik am faschistischen Staat äußerte Menzel in Gestalt des Hinweises,
dass sämtliche Organe ernannt seien und unter der Aufsicht des Staates
stünden. Daher könne von einer Autonomie wie in der deutschrechtlichen
Genossenschaft keine Rede sein. Rocco selbst habe den Unterschied zu den
mittelalterlichen Korporationen klar akzentuiert: „Der korporative Staat ist
nicht der Staat in der Hand der Korporationen, sondern die Korporationen
in der Hand des Staates.“ Mussolini hielt er allerdings zugute, in den Korpo-
rationen – anders als Giuseppe Bottai – nicht nur Staatsorgane, sondern bis
zu einem gewissen Grad auch selbständige Willensträger gesehen zu haben.
Menzel ließ das Kapitel mit dem Versuch einer Antwort auf die wohl schwie-
rigste Frage überhaupt ausklingen, und diese fiel differenziert aus: Dass es
sich beim faschistischen Staat um eine Diktatur im juristischen Sinn handle,
wie „von gegnerischer Seite“ gern behauptet, stellte er in Abrede, weil es
neben dem Duce den König gebe, dass es sich in politischem Sinn aber sehr
wohl um eine Diktatur handelte, gestand er ein, allerdings mit einer Ein-
schränkung: Eine charismatische Herrschaft sei der italienische Faschismus
nur in Teilaspekten, denn es gebe auch feste Institutionen, wie sie ein ratio-
nales System kennzeichnen.
Die drei Schlusskapitel sind historischer bzw. vergleichender Natur. Un-
ter dem Titel Der Faschismus und die Antike (S. 81–91) beschrieb Menzel
diese Ideologie „bis zu einem gewissen Grade“ als Erneuerung des antiken
Staatsgedankens. Eine Italienische Staatsphilosophie (S. 92–105) glaubte
er schon bei Thomas von Aquin, Dante und Marsilius von Padua orten zu
dürfen, und eine enge innere Verwandtschaft mit dem Faschismus erkannte
er bei Machiavelli. Antonio Rosmini und Vincenzo Gioberti schätzte er als
Verfechter eines „ethischen“ Charakters des nationalen Staates; wegen des
inneren Zusammenhangs von Nationalismus und Faschismus sei auch Giu-
seppe Mazzini einer seiner Väter. Der erste echte Faschist sei indes Gab-
riele d’Annunzio gewesen. Beziehungen des faschistischen Staatsgedankens
zu außeritalienischen Lehren (S. 106–121) fand er – bei allen keineswegs
geleugneten Unterschieden – bei Hobbes, Spinoza und Rousseau sowie in
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN154
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580