Seite - 158 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Bild der Seite - 158 -
Text der Seite - 158 -
von Hohenbruck, der die Idee des Ständestaates 1930 in der Tiroler Bau-
ernzeitung erläuterte: Echte Autorität verkrafte eine auf dem allgemeinen
Wahlrecht beruhende Körperschaft zur Vertretung gemeinsamer Staatsin-
teressen neben einer Länderkammer und einer Ständekammer.926 Den itali-
enischen Faschismus schloss er als mögliches Vorbild aus.927
1931 präsentierte Rudolf Kinsky einen Entwurf einer ständischen Ver-
fassung, in dem er zum Spann-Kreis und zum italienischen Faschismus auf
Distanz ging.928 Dies wurde in der Reichspost ausdrücklich anerkannt.929
Kinsky gehörte dem Landbund an, einer als liberal geltenden Partei, die die
von der Heimwehr ausgehende politische Radikalisierung zu mildern ver-
suchte.930 Für ihn begann die Demokratie auf Gemeindeebene, also in jenen
Sprengeln, wo jeder jeden kennt. Die in „Urwahlen“ bestimmten Bürger-
meister sollten sodann den Bezirkshauptmann, die Bezirkshauptleute den
Kreishauptmann wählen; als Versammlung der Letzteren war der Natio-
nalrat vorgesehen, der seinerseits den Bundespräsidenten wählen sollte.931
Dasselbe Wahlsystem propagierte August Zell in einer Abhandlung932, in der
ansonsten aber gewisse Anklänge an den Nationalsozialismus auffallen.933
Kurz nach dem Erscheinen von QA bescheinigte Bartholomäus Fiala dem
berufsständisch aufgebauten, die Sachkompetenz in den Mittelpunkt rü-
ckenden Staat aristokratische Qualitäten und hielt am Ideal dynastischer
Legitimität fest.934 Hermann Struber trat mit der schon länger im Raum ste-
henden Forderung nach einem „Wirtschaftsparlament“ neben dem National-
rat hervor.935
1933 häuften sich einschlägige Publikationen, wobei von weltanschauli-
cher Homogenität keine Rede sein kann. In populistischen Tönen erläuterte
Peter Lütz die Unvereinbarkeit von Stände- und Parteienwesen und trat für
die Trennung von Staat und Gesellschaft ein.936 Konstantin von Hohenlo-
he-Schillingsfürst OSB, der auf eigene Vorarbeiten aus den zwanziger Jah-
ren zurückgreifen konnte937, begründete den Ständestaat aus dem Wesen des
926 v. hohenbrucK, Zur Frage, 28–33.
927 v. hohenbrucK, Zur Frage, 40–44.
928 KinsKy, Entwurf, 5.
929 Kraus, „Volksvertreter“, 68; wohnout, Verfassungstheorie, 56.
930 Kriechbaumer, Landbund, 529.
931 KinsKy, Entwurf, 11 f.
932 Zell, Ständische Staats-Gliederung, 5–11.
933 Zell, Ständische Staats-Gliederung, 19.
934 fiala,Die berufständische Organisation, bes. 1–5 und 7–16.
935 struber, Österreichs Wiederaufbau, 70.
936 lütZ, Der Ständestaat, bes. 3 und 10–19; Kraus, „Volksvertreter“, 69.
937 SZ 14. 3. 1926, 21. 3. 1926, 25. 9. 1927 (K. v. hohenlohe-schillinGsfürst).
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN158
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580