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Christentums.938 Im Grundsätzlichen939 verweilte auch Benno Karpeles, der,
ausgehend von der Verfassung von 1920, zunächst die politische Reife des
Volks kritisch ansprach. Weitere Akzente setzte er auf die Deutung von QA
als gesellschaftlich, nicht staatsrechtlich verbindliches Dokument940 und auf
die Distanzierung vom faschistischen Italien.941 Ähnliche Gedanken entwi-
ckelte Friedrich Freiherr von Weichs942, der sich bereits in den zwanziger
Jahren in der konservativ-katholischen Wochenpresse kritisch zum kapita-
listischen Konsumverhalten geäußert hatte.943 Dass das „Mussolinische Ös-
terreich“ der „Bettler Europas“ sei, störte ihn.944 Er entwarf ein detailliertes,
auf bestehende Einrichtungen zurückgreifendes ständestaatliches Modell 945,
das er auch Kritikern946 gegenüber verteidigte: Zumal nach den Februarer-
eignissen, resümierte er, habe der Staat nach dem Motto „So viel Freiheit als
möglich und so viel Bindung als notwendig“ zu agieren.947 Ein weiterer Stän-
detheoretiker, der seine Gedanken aus QA ableitete, war Oskar Zaglits.948 Er
bescheinigte dem faschistischen Italien die Umsetzung dieses Rundschrei-
bens, betonte allerdings, dass Mussolini sein totalitäres System als vorläufig
betrachte.949 In den Grundzügen Othmar Spann verpflichtet, berücksichtigte
er die Anfechtbarkeit mancher Positionen dieses Denkers.950 Eine neutrale
Paraphrase von QA bot Hans Schmitz.951
Ein unvergleichlich höheres Niveau als alle bisher genannten Schriften
zeigen die Arbeiten von August M. Knoll. Auffällig ist sein Bemühen, die be-
rufsständische Idee als ein Charakteristikum Österreichs zu kennzeichnen.
Diesem Land bescheinigte er eine „mächtige soziale Tradition“ und sprach
von einem „österreichischen Sozialkonservativismus“, dessen tragende Säu-
len „Familie, Haus und Standschaft“ seien. Die Habsburger hätten die „Jo-
sefs-Idee, welche in ihrer väterlichen Substanz […] jeder Staats- und Stän-
938 hohenlohe, Ständestaat, 3 f.
939 KarPeles, Klassenkampf, 37 und 40.
940 KarPeles, Klassenkampf, 3–9.
941 KarPeles, Klassenkampf, 27–31 und 43.
942 v. weichs, Der Weg, 5–12; vgl. neGer, Verfassung, 16; im Januar 1934 publizierte die SZ
eine dreispaltige Zusammenfassung dieser Abhandlung; SZ 21. 1. 1934 (F. v. weichs); 1933
erschien in Graz vom selben Verfasser die Schrift Wie bauen wir den Ständestaat?
943 NR 16. 1. 1926 (F. v. weichs); SZ 16. 6. 1929 (F. v. weichs).
944 NR 8. 9. 1928 (F. v. weichs).
945 v. weichs, Der Weg, 15–26; neGer, Verfassung, 29.
946 StL 1934, 330 f. (S. M. radda).
947 CS 27. 1. 1935 (F. v. weichs).
948 ZaGlits, Aufbauversuche; ZaGlits, Bewegung, bes. 13 f.
949 ZaGlits, Aufbauversuche, 4–11; ZaGlits, Bewegung, 15–29.
950 ZaGlits, Bewegung, 24.
951 H. schmitZ, Die berufsständische Ordnung, bes. 3 und 13.
3.6 BERUFSSTÄNDISCHE ENTWÜRFE 159
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580