Seite - 168 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Bild der Seite - 168 -
Text der Seite - 168 -
Diskussionen über die Definition von Kultur ergaben, dass diese nicht rein
formal sein sollte.1031 Gleichwohl wurde dem BKR die geringste Zahl an Ge-
setzesentwürfen zur Pflichtbegutachtung vorgelegt. Auch zahlenmäßig war
er mit nur 30–40 Mitgliedern gegenüber dem BWR mit 70–80 Mandataren
deutlich unterproportioniert.1032
Aufgabe der vorberatenden Organe war die Vorlage von Gutachten zu Ge-
setzesanträgen der Regierung. Immer zu einem Gutachten verpflichtet war
nur der SR; beim BWR und BKR entschied die Bundesregierung über die
Vorlage eines Entwurfs zur Pflichtbegutachtung. Die Gutachten waren aber
nicht bindend.1033 Der BT hatte über Vorlagen nur abzustimmen, nicht zu
debattieren. Alle Organe gemeinsam bildeten die Bundesversammlung, die
einen Dreiervorschlag zur Wahl des Bundespräsidenten erstattete, den Ge-
wählten vereidigte und Beschlüsse über Krieg und Frieden fasste.1034
Die vorberatenden Organe tagten ohne Beteiligung der Öffentlichkeit,
um, so Otto Ender, Demagogie und Popularitätshascherei zu verhindern.1035
Im Januar 1935 wurde die Wichtigkeit der vertraulichen Behandlung der
von ihnen übermittelten Gesetzesentwürfe, nach außen und zwischen den
Organen, im Ministerrat eigens hervorgehoben1036; ein Jahr später waren die
Regierungsmitglieder in dieser Frage hingegen geteilter Meinung.1037
Auf dem eben beschriebenen Weg kam freilich nur ein Drittel der Gesetze
zustande; zwei Drittel, besonders die wichtigeren, entstanden kraft des Er-
mächtigungsgesetzes.1038 Ab 1936 wurden die Experten stärker zu Rate gezo-
gen, aber vornehmlich für die weniger wichtigen Materien.1039
Die gruppenbiographische Analyse1040 der insgesamt 213 Personen, die
zwischen 1. November 1934 und 12. März 1938 in den Organen der Bundes-
gesetzgebung tätig waren1041, lässt erkennen, dass die Bestellung nur teil-
1031 S. amann, Kulturpolitische Aspekte, 144–151; wohnout, Verfassungstheorie, 390.
1032 Kraus, „Volksvertreter“, 165 f.; steiner, Wahre Demokratie?, 148.
1033 PutscheK, Ständische Verfassung, 170–173; wohnout, Verfassungstheorie, 222–225.
1034 binder/wohnout, Das autoritäre Regierungssystem, 152; neGer, Verfassung, 62–64, und
87–89; orGler, Ständestaat, 173; senft, Im Vorfeld, 147 f.; steiner, Wahre Demokratie?,
150 f.; tálos/manoscheK, Austrofaschismus, 118.
1035 steiner, Wahre Demokratie?, 258.
1036 PMR IX/2, Prot. 981/5 (25. 1. 1935), 242–244.
1037 PMR IX/4, Prot. 1022/5 (7. 2. 1936), 340.
1038 JaGschitZ, Ständestaat, 502; PutscheK, Ständische Verfassung, 196; steiner, Wahre De-
mokratie?, 149; tálos, Herrschaftssystem (2013), 100; wohnout, Verfassungstheorie,
232–239.
1039 wohnout, Verfassungstheorie, 417 f.
1040 Sehr differenziert bei stimmer, Eliten, 779–792.
1041 Auflistung der Namen bei Knauer, Das österreichische Parlament, 266–270; wohnout,
Regierungsdiktatur, 459–466. 3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN168
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580