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Wesen und Ziel der berufsständischen Ordnung klar erkannt werden“.1136
Entschiedener als viele Zeitgenossen forderte er die Überwindung des Kapi-
talismus.1137 Die Wirtschaft könne „keine freie Wirtschaft im Sinne der libe-
ralen Doktrin sein“, aber auch sozialistische Planwirtschaft lehnte Waschnig
ab.1138 Deutlicher als andere Theoretiker betonte er, dass die berufsständi-
sche Ordnung gemäß QA mit verschiedenen politischen Systemen vereinbar
sei.1139
Der bereits erwähnte Teildruck der Dissertation von Gertrud Spinnhirn
von 1936 verdient in diesem Überblick insofern Beachtung, als er mit Bezug
auf die Organisation des Berufsstands Land- und Forstwirtschaft ein Modell
vorstellte, das an jene von Kinsky, Zell oder Fiala erinnert und das Problem
der Überlagerung verschiedener Kriterien beim „Aufbau“ von Ständen sicht-
bar macht.1140
1937 schließlich legte Hermann Stipek1141 eine Zusammenfassung der be-
kannten politischen Konstellationen samt ihren geistigen Hintergründen
vor; ereignisgeschichtlich maß er dem Bürgerkrieg von 1927 und der Ver-
fassungsreform von 1929 besondere Bedeutung bei.1142 Persönliche Schwer-
punkte setzte er auf das christliche Naturrecht1143, auf die Überwindung des
Klassenkampfs und auf die Akzentuierung der Unterschiede der Entwick-
lung in Österreich gegenüber Italien und anderen faschistischen Staaten.1144
Nach der Vorstellung ständetheoretischer Literatur aus Österreich soll
das in diesem Land bestehende Interesse an den einschlägigen Diskussionen
und am Fortschritt des berufsständischen Aufbaus in anderen europäischen
Staaten nicht unerwähnt bleiben. 1934 und 1935 berichtete Albert Müller SJ
im CS über die Leistungen von António de Oliveira Salazar in Portugal1145
und über Eine ständische Studientagung in Belgien. Österreich kam in der
Wahrnehmung des Verfassers dem italienischen Modell nahe: Dies sei nicht
wünschenswert, weil durch die Dominanz des Staates dem Ständewesen
1136 waschniG, Wirtschaftsreform, 6.
1137 waschniG, Wirtschaftsreform, 5, 11 und 32.
1138 waschniG, Wirtschaftsreform, 26–28.
1139 waschniG, Wirtschaftsreform, 7–10.
1140 sPinnhirn, Agrarpolitik, 16–19.
1141 marschniG, Militarisierung, 85 f.
1142 stiPeK, Das Werden, 10–17.
1143 stiPeK, Das Werden, 3.
1144 stiPeK, Das Werden, 18–20.
1145 Der Estado Novo unterschied sich grundlegend vom Faschismus: Er wünschte eine pas-
sive Öffentlichkeit und einen von Kirche, Armee und Großgrundbesitz getragenen Staat
mit begrenzten Möglichkeiten. 1934 verbot Salazar den sogenannten Nationalsyndikalis-
mus, eine faschistische Bewegung, die die Gewalt verherrliche und nach Vorherrschaft
der politischen Staatsmacht im sozialen Leben strebe; Paxton, Anatomie, 220 f. und 317 f.
3.9 DIE MAIVERFASSUNG IN DER ANALySE KRITISCHER ZEITGENOSSEN 179
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580