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risch auf die künftigen Generationen zu wirken: Mittlerweile (1924) gebe es
in ganz Europa eine Schicht, für welche die Politik Erwerbsquelle ist, d. h.
„das äußerste Gegenteil von Freiheit“.329
So anfechtbar diese Formen der Demokratiekritik aus heutiger Sicht sind:
Was sie leitete, war das für den Konservatismus charakteristische eher pes-
simistische Bild vom Menschen.330 Dieses führte auch den im NR zu Wort ge-
kommenen Autoren die Feder: Der parlamentarischen Demokratie fehle der
Blick auf das Ganze und sie biete keine Garantien für die Wirksamkeit von
Faktoren, die unabhängig von Wahlergebnissen und Mehrheitsentscheidun-
gen sind: „Ohne Dogma zersetzt sich Credo und Wissen in chaotisches Mei-
nen.“331 Das Dogma, das die moderne Demokratie am meisten leugne, sei je-
nes von der Erbsünde; sie übersehe, dass die Menschen nicht von Natur aus
gut sind. Parlamentarismus bedeute ewige Kompromisse und Halbheiten.
Gegen das bloße Stimmenzählen spreche die natürliche Ungleichheit der
Menschen.332 In einem fingierten Zwiegespräch zwischen einem Demokraten
und einem Konservativen ließ Schriftleiter Josef Eberle den Letzteren fest-
stellen, die Demokratie müsse versagen, „weil von Durchschnittsmenschen
nicht erwartet werden kann, was von Engeln erhofft werden dürfte“.333
329 NR 22. 3. 1924.
330 hanisch/urbanitsch, Prägung, 63; rembold, Das Bild, 357.
331 NR 7. 3. 1925 (J. eberle).
332 NR 20. 3. 1921; 8. 8. 1925 (J. eberle).
333 NR 7. 3. 1925 (J. eberle). 4. DIE POLITISCH-GESELLSCHAFTLICHE
LAGE210
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580