Seite - 214 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Bild der Seite - 214 -
Text der Seite - 214 -
an Grenzen.29 Personalität galt als ein Status, der von niemandem verlie-
hen wird, sondern der – entsprechend Spaemanns Begriff einer unbeding-
ten Würde30 – jemandem natürlicher Weise zukommt und ihn unantastbar
macht31, ihm den Anspruch verleiht, „dass man auf eine bestimmte Weise
mit ihm umgeht“.32 Nach Guido Zernatto dürfe die Freiheit des Einzelnen
auch bei autoritärer Führung nicht zur Disposition stehen.33
In ähnlichen Mustern dachte die katholische Gesellschaftslehre: Oswald
von Nell-Breuning betonte, dass die christliche Tradition zwar vom Einzel-
menschen ausgehe, aber nicht dem Individualismus verfalle.34 Der geistige
Vater von QA war ein Schüler Heinrich Peschs, der die mit relativer Selb-
ständigkeit ausgestattete Person hervorhob. Für ihn war die Gesellschaft
keine Summe von Individuen, sondern ein moralischer Organismus, dessen
Glieder nicht durch einen bloßen Vertrag, sondern durch die göttliche Ord-
nung miteinander verbunden seien.35 In diesem Punkt bestanden bei aller
sonstigen Verschiedenheit selbst zu Othmar Spann Gleichklänge: „An das
letzte Geheimnis der Individualität rührt die Gesellschaftslehre nicht.“36
Georg Baumgartner wandte sich „gegen jene Verknechtung des Men-
schen, die sich sogar bis in die Schule, in Familie und Haus zu erstrecken
anfing“, und erhob „Protest gegen die Schablonisierung des Lebens“.37 Für
Familie, Wirtschaft, Politik und Kunst forderte er völlige Autonomie, auf
dass aus jedem Bereich „das Maximum herausgeholt“ werde und der Mensch
darin restlos aufgehe.38 Rudolf Henz appellierte an dessen persönliche Ver-
antwortung in allen Belangen.39 Walter Adam, Verfasser einer Abhandlung
über die österreichische Staatsidee, ging so weit zu erklären, dass er eine
Definition von „Staatsidee“ gar nicht zu geben beabsichtige, weil es ihm um
Dinge gehe, „die auch gefühlsmäßig und mit der Seele betrachtet sein wol-
len“.40
29 schmidinGer, Der Mensch, 134.
30 G. lohmann, Neokonservative Antworten, 200 f.
31 sPaemann, Personen, 25 f.
32 sPaemann, Personen, 13; vgl. auch schmidinGer, Der Mensch, 15; seifert, Dietrich von Hil-
debrand, 181.
33 Zimmer, Guido Zernatto, 109. Oswald Redlich setzte sich gegen die VF ein; Kriechbaumer,
Front, 246.
34 PytliK, Berufsständische Ordnung, 24; vgl. auch hättich, Wirtschaftsordnung, 22–27;
lindGens, Die politischen Implikationen, 102.
35 diamant, Katholiken, 147–149; senft, Im Vorfeld, 76.
36 sPann, Wahrer Staat, 45.
37 baumGartner, Arbeit und Erwerb, 9.
38 baumGartner, Arbeit und Erwerb, 32 f.
39 henZ, Fügung, 171.
40 Er sprach dann allerdings doch von einer „Summe geschichtlicher, politischer, kultureller
5. DER MENSCH IST
PERSON214
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580