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zertrampelt oder versklavt werden“.58 Und, so ebenfalls Röpke: Freiheit sei
wichtiger als Gleichheit, weswegen die „jakobinische Demokratie“ abzuleh-
nen sei.59 Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi hatte denselben Gedanken
bereits Jahrzehnte früher ausgesprochen: „Der Mensch will sich entfalten:
aber nicht herrschen. Der natürliche Instinkt will Freiheit, nicht Macht.“60
Heinrich Mataja nannte es die „Polarität menschlichen gesellschaftlichen
Strebens, dass der Mensch Ordnung und Freiheit haben will“.61 Coudenho-
ve-Kalergi, für den Persönlichkeit „eine Funktion der Freiheit“ war62, be-
diente sich Schiller’scher Begriffe: Freiheit bedeute nicht Anarchie, sondern
„Freiheit zur Form“, nicht Willkür, sondern „das innere Gesetz“.63 Als Ideal
nannte er den Menschen, der sich bei äußerer Freiheit innere Schranken
setzt, beispielsweise den Heiligen, den Ritter oder den Gentleman.64
Im Denken der Mandatare des Ständestaates waren derlei Überzeugun-
gen tief verankert. Franz Rehrl wünschte einen „ethischen“ Staat, der „dok-
trinären Liberalismus ablehnt, aber die natürliche Freiheit der Persönlich-
keit bewahrt“.65 Franz Karl Ginzkey siedelte echte Freiheit im Inneren des
Menschen an66, ebenso Rudolf Henz, der hier ein Gegengewicht zur gleich-
wohl notwendigen Autorität und einen sicheren Garanten „gegenüber allen
kollektivierenden Mächten“67 sah.
Der Komponist Josef Marx fand den Raum, in dem sich Freiheit entfal-
ten müsse, in der Kunst; er warnte vor allzu großer Naturnähe, weil diese
die Persönlichkeit des Künstlers ausschalte: In der Kunst siege der Geist
über die angeblich unbesiegbare Wirklichkeit.68 Freilich könne Freiheit auch
missbraucht werden, bemerkte er mit Blick auf kulturferne Gruppen: „Nur
der geistig freie, also hoch stehende Mensch kann sich ohne eigenen und
fremden Schaden im Freien bewegen; der andere rennt bestimmt in sein
Verderben, wie das losgelassene Kind in den Tümpel.“69
Oswald Redlich, der Historiker, forderte Freiheit für die wissenschaftliche
Forschung und Lehre.70 1925 warnte er vor der Rückkehr in vormärzliche
58 habermann, Das Maß, 16.
59 habermann, Das Maß, 102.
60 coudenhove-KalerGi, Totaler Mensch, 124.
61 CS 6. 9. 1936 (H. mataJa).
62 coudenhove-KalerGi, Ethik, 116.
63 coudenhove-KalerGi, Totaler Mensch, 38.
64 coudenhove-KalerGi, Ethik, 118.
65 CS 4. 2. 1934 (F. rehrl).
66 GinZKey, Jakobus, 66.
67 henZ, Fügung, 361 und 368.
68 marx, Weltsprache, 207; vgl. auch werba, Joseph Marx, 250.
69 marx, Betrachtungen, 104.
70 H. dachs, Österreichische Geschichtswissenschaft, 99.
5.3 FREIHEIT UND ORDNUNG 217
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580