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Dass die Thun’sche Reform die Erhaltung der Universitäten durch den
Staat bei gleichzeitiger Autonomie derselben sowie Lehr- und Lernfrei-
heit vorsah, begrüßte auch Ludwig Adamovich. Auf den Studien- und For-
schungsbetrieb solle der Staat keinen Einfluss nehmen. Bei Entscheidun-
gen, in die akademische Behörden involviert waren, sei das Ministerium
„stets mit besonders feinfühligem Takt vorgegangen“ und habe deren fachli-
che Kompetenz nie in Frage gestellt.81
Karl Lugmayer, der Volksbildner (Kap. 8.6), lehnte starre Normen sogar
bei alltäglichen Entscheidungen von mittlerer Reichweite ab, auf dass diffe-
renzierte Gesellschaftsformen nicht vernichtet würden.82 Er war folglich 1936,
als er Referent für die Volksbildung in Wien wurde, dagegen, die in diesem
Bereich tätigen Personen einer Prüfung nach einheitlichem Maßstab zu un-
terziehen, weil dadurch jede organische Entwicklung unterbunden werde.83 In
ähnlichem Geist warnte Robert Krasser davor, den Lehrer „zum bloßen me-
chanischen Werkzeug einer einzigen Methode“ zu machen.84 Wilhelm Röpke
sprach sich gegen „allgemeine Professionalisierung“ aus, die „Kommerzialisie-
rung“ zur Folge habe und die „Hingabe des Einzelnen“ unterbinde.85
Rudolf Henz empfand Unbehagen gegen jene „Allesseher“, deren Dasein
„durchgeplant“ sei; diese in Wirklichkeit „Blinden“ fürchte er mehr noch als
Nationalsozialisten oder Kommunisten.86 Ähnliche Gedanken wurden im
CS immer wieder thematisiert87, etwa durch Kritik am sogenannten „In-
strumentalismus“, der für preußische Weltsicht charakteristischen Haltung,
die dem Ordnen und Organisieren Vorrang vor dem Geordneten einräume:
Auf diese Weise werde der Mensch zum Mittel erniedrigt.88 Dietrich von Hil-
debrand rügte die – auch in intellektuellen Kreisen – weit verbreitete Ten-
denz, „in bequemer Weise die Welt in einige bekannte primitive Kategorien
einzuteilen“.89 Er warnte vor übereilten Generalisierungen und forderte die
Berücksichtigung einander überlagernder Kategoriensysteme.90 In allen Fäl-
len handelte es sich um Bekenntnisse zur Ganzheitlichkeit der Person, die
mit dem Anspruch, für alles und jedes ein Kriterium finden und alles in ein
System pressen zu müssen, nicht vereinbar sind.
81 adamovich, Hochschulverwaltung, 44–46.
82 hanisch, Konservatives und revolutionäres Denken, 25.
83 Pribyl, Der christlichsoziale Politiker, 141.
84 Krasser, Ständestaat, 21.
85 habermann, Das Maß, 18.
86 suchy, Utopie, 226.
87 ebneth, Wochenschrift, 73.
88 CS 8. 3. 1936 (E. reisner).
89 v. hildebrand, Memoiren, 230.
90 v. hildebrand, Memoiren, 233.
5.3 FREIHEIT UND ORDNUNG 219
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580