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stellte an den braunen Eiferern ein Denken in irrationalen Kategorien und
einen Mangel an Intellektualität fest; bei Hitler vermisste er den Sinn für
Kausalzusammenhänge, fand nur die Übersteigerung von Leidenschaften.223
1908–1921 hatte Dietrich von Hildebrand in engem Kontakt zu Max Sche-
ler gestanden224, einem Schüler Rudolf Euckens (Kap. 4.1).225 Scheler entwi-
ckelte eine Ethik, die über den Formalismus Kants hinausging, indem sie
sich als als materiale, d. h. konkrete Wertethik auch inhaltlich definierte.226
Durch die Annahme eines Bestands an Werten, die, anders als Normen, das
Handeln als gleichsam apriorische Kategorien aus dem Hintergrund leiten,
stellte er dem zeittypischen Relativismus und Nihilismus eine überzeugende
Alternative entgegen.227 Die Werte, so Scheler, würden intuitiv erfasst und
seien Gegenstandsbereich der Gefühle; diese wiederum beschrieb er als in-
tentionale Akte, denen, so im Rekurs auf Blaise Pascal („Das Herz hat seine
Gründe, die die Vernunft nicht kennt“), Erkenntnisbedeutung zukomme.228
Ausgehend von der metaphysischen Grundauffassung des Menschen als
animal rationale, aber skeptisch gegen übersteigerten Rationalismus229, maß
er dem Geist zentrale Bedeutung bei, die er mit dessen Selbst-Bewusstsein
begründete. Das Sein des Menschen bestehe einerseits im Werden und Ver-
gehen, andererseits im Vollzug geistiger Akte, und innerhalb des zwischen
der Blindheit der bloßen Materie und dem hellen Raum des von dieser un-
abhängigen Geistes unterschied er diverse Grade der Intentionalität.230 Das
Verhältnis des „Drangs“ (in der Anthropologie: „Leben“) zum Geist beschrieb
er als Vermittlungsprozesses („Konkretion“) zweier aufeinander angewie-
sener Faktoren: Der Geist, der seine Energie vom Drang erhält, ist nicht
ein Feind des Lebens, sondern gibt diesem die richtige Richtung, indem er
ihn hemmt bzw. enthemmt, bis hin zur Verdrängung (Sublimierung).231 Mit
223 heinZ, E. K. Winter, 112 f.
224 v. hildebrand, Memoiren, 15*; vgl. connelly, From Enemy, 110 f.; seefried, Reich, 195 f.;
seifert, Dietrich von Hildebrand, 172 f.; schmidinGer, Max Scheler, 96; eher abschätzig die
Bezeichnung „der katholische Vorzeigephilosoph“; O. weiss, Rechtskatholizismus, 42.
225 Good, Max Scheler, 15 f.; fellmann, Daseinswelt, 156; sander, Max Scheler, 14.
226 Good, Max Scheler, 19 und 31; PöGGeler, Max Scheler, 159; sander, Max Scheler, 56;
schmidinGer, Max Scheler, 90; schneider, „Vorbilder“, 184.
227 fellmann, Daseinswelt, 162; flasch, Die geistige Mobilmachung, 114; schmidinGer, Max
Scheler, 97 und 105–107.
228 coriando, Affektenlehre, 19–36 und 88 f.; frinGs, M. Scheler, 15–19; Good, Max Scheler, 20
und 26–28; sander, Max Scheler, 44, 56 und 89.
229 coriando, Affektenlehre, 18 und 25.
230 coriando, Affektenlehre, 83–85; Good, Max Scheler, 51 f.; schmidinGer, Max Scheler, 100;
witteriede, Einführung, 22–26 und 36; ähnlich der Personbegriff von Josef Pieper; PiePer,
Über die Gerechtigkeit, 51–54.
231 fellmann, Daseinswelt, 161 f.; frinGs, M. Scheler, 20–27; Good, Max Scheler, 43, 54 f. und
5.4 LEBEN UND GEIST 233
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580