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einstimme, weil er das Sein als Vollzug intentionaler Akte betrachte.240 Was
die konservativen Zeitgenossen an ihm schätzten, waren der hohe Stellen-
wert, den er der in einem Gliedschaftszusammenhang stehenden Einzelper-
son beimaß, deren Leben zwischen Selbst- und Mitverantwortung verlaufe,
das Bild der nicht im Kollektiv untergehenden, sondern als Glied einer To-
talität verstandenen Einzelperson241, die auch in der politisch-gesellschaft-
lichen Praxis wichtige Unterscheidung zwischen Ideal- und Realfaktoren242
und die Ablehnung kapitalistischer Werte.243 1935 würdigte die SZ den
Beitrag von Schelers Personalismus zur Überwindung der utilitaristischen
Staatstheorie.244
In Österreich ging von Scheler ein starker Einfluss aus. Genannt seien
etwa Josef Dobretsberger, der in den späten zwanziger Jahren in Köln sein
Hörer war245, und der Schuschnigg-Vertraute Johannes Hollnsteiner.246 Af-
finitäten bestanden auch zu Eric Voegelin und zu französischen Theologen
des Neuthomismus247 – die ihrerseits in Österreich rezipiert wurden. An
vorderster Stelle ist Jacques Maritain zu nennen, ein Vertreter der konser-
vativen kirchlichen Bewegung des Renoveau catholique, für den christliche
Philosophie und christliche Politik zusammengehörten.248 1938 lobte die SZ
sein Buch Zukunft der Christenheit, weil darin mit den Zeitirrtümern abge-
rechnet und ein Christentum entworfen werde, das an ständischen Födera-
lismus erinnere.249 Maritain lehnte den individualistischen Liberalismus ab,
der mit dem Rationalismus zum Durchbruch gekommen sei und dem er die
Verantwortung für die Entstehung von Faschismus und Kommunismus zu-
schrieb.250 Er zeigte Interesse an Leopold von Andrians Ständeordnung und
stand mit dem Verfasser in Kontakt.251 Im Rahmen der Salzburger Hoch-
schulwochen verkehrte er im Kreis um Dietrich von Hildebrand.252 Kurt
Schuschnigg entsann sich des genannten Werks von Maritain 1942 in nati-
240 NR 25. 2. 1928 (M. lehner); NR 8. 12. 1928 (P. wust); vgl. schmidinGer, Max Scheler, 95.
241 NR 30. 6. 1928 (G. briefs); fellmann, Daseinswelt, 160.
242 Good, Max Scheler, 42 und 81; hencKmann, Aspekte, 23; sander, Askese, 35; welsen, For-
men, 183–189.
243 SZ 1. 7. 1928 (G. briefs).
244 SZ 10. 2. 1935; 17. 2. 1935 (Th. brauer); vgl. PöGGeler, Max Scheler, 157.
245 binder, Stepan/Dobretsberger, 36.
246 buchmayr, Der Priester, 31 f.
247 anZenbacher, Christliche Sozialethik, 128 f.; schmidinGer, Max Scheler, 103.
248 d. berGer, Aspekte, 427.
249 SZ 20. 2. 1938 (F. trautenau); zu Maritains gesellschaftspolitischen Überlegungen flasch,
Die geistige Mobilmachung, 124.
250 de felice, Deutungen, 74–77.
251 dorowin, Retter, 92; schumacher, Leopold Andrian, 47.
252 KuGler, Die frühe Diagnose, 122.
5.4 LEBEN UND GEIST 235
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580