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dividuum zur Menschheit nunmehr komplexer sei als in früheren Zeiten.329
Meister nahm eine „Zonengliederung der Kultur“ an, einen Stufengang, zu
dem ein Bekenntnis zur Höherordnung der geistigen Werte gehörte. In An-
lehnung an Aristoteles unterschied er zwischen notwendigen, dienlichen und
schönen Dingen. Das Schöne bildete in seinen Augen eine Wirkungsganzheit
mit dem sittlich Guten, die „Kalokagathia“ der Griechen.330 „Kulturpädago-
ge“331, der er war, wurde er nicht müde, die humanistische Bildung gegen
den Vorwurf zu verteidigen, sie sei unpraktisch. Schon 1920 sah er „autori-
tative Mächte“ sich emporschwingen, deren Zugriff es die jungen Menschen
zu entziehen gelte. An der griechischen Ethik schätzte er, dass sie ihre For-
derungen „ohne Vermittlung egoistischer und utilitaristischer Reflexion“ be-
gründet habe.332 Kurt Schuschnigg spannte den Bogen weiter zur Arete des
Aristoteles.333
Die katholisch-konservative Presse schenkte den Akademikern in der Ge-
sellschaft große Aufmerksamkeit.334 Josef Eberle sah in ihnen jene ausglei-
chende Gruppe, die in einer Zeit der „Überpraktiker“ als Anwältin der Prin-
zipien und Ideale besonders wichtig sei. Sie sähen weiter als die Mehrheit
der Menschen und ließen sich nicht von der Tagespolitik den Blick für große
Zusammenhänge trüben.335 Gern machte er die SZ daher zum Forum für In-
tellektuelle, die im Akademiker, insbesondere im christlichen, den eigentlich
berufenen Führer des Volkes erkannten. Sein Wissen und die Fähigkeit, sich
in neue Gebiete rasch einzuarbeiten, verleihe ihm eine natürliche Autori-
tät, die auf einer „Seelenhaltung“, nicht auf „Kadavergehorsam“ beruhe. Mit
Blick auf seine großen Aufgaben möge er sich aber vor ungesundem Dünkel
in Acht nehmen.336 Karl M. Stepan setzte sich für die Bildung katholischer
Eliten ein.337
Franz Kolb kultivierte akademisches Selbstbewusstsein als Mitglied der
Studentenverbindung Tirolia.338 1919 zitierte er anlässlich des 25-jährigen
Bestehens derselben339 den Brixner Weihbischof Sigismund Waitz, seinen
329 meister, Bildungswerte, 21–23.
330 KainZ, Hauptprobleme, 103 f.
331 Vgl. hörburGer, Geschichte, 190. breZinKa, Pädagogik, 113; auch „Kulturpropädeutik“ ist
ein brauchbarer Terminus; wallraf, Kultur, 222.
332 meister, Bildungswerte, 24.
333 CS 17. 6. 1934 (K. schuschniGG).
334 Vgl. hierzu G. hartmann, Eliten, 227 und 230.
335 SZ 9. 1. 1927 (J. eberle).
336 SZ 19. 3. 1933 (E. Klausener).
337 binder, Stepan/Dobretsberger, 14 f.
338 Kolb, Tirolia, 54, 67.
339 Vgl. binder, Politischer Katholizismus, 28 f.
5.4 LEBEN UND GEIST 245
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580