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Stelle werde „so eine Art von geistigem Hauptfeldwebel“ treten.351 Von Men-
schen mit diktatorischem Tonfall ließ sich der Kanzler leicht verunsichern;
ihrer charakterlichen Niedrigkeit stand er wehrlos gegenüber.352 Den Um-
gang mit den Massen beherrschte er folglich nicht gut353, viel weniger jeden-
falls als sein intellektuell ihm keineswegs ebenbürtiger Vorgänger Engelbert
Dollfuß.354 Ähnliches gilt für jene Konservativen, die sich 1933, als Hitler
Reichskanzler wurde, der Illusion hingaben, ihre akademische Bildung und
die Erfahrung würden ihnen Überlegenheit über die ungehobelten Nazis
verleihen.355 Bei Schuschnigg dürfte dieser Wesenszug den Ausgang des Ge-
sprächs mit Hitler am 12. Februar 1938 entscheidend beeinflusst haben.356
Der Kanzler hatte bis zuletzt an das Juliabkommen geglaubt und war in
der Meinung nach Berchtesgaden gefahren, ein Gespräch unter Gentlemen
führen zu können357 – so wie er 1936 den Standpunkt vertreten hatte, die
Nationalsozialisten würden „geistigen Argumenten gegenüber [...] ihre terro-
ristischen Drohungen aufgeben“.358 Einige Tage nach dem Gespräch schrieb
der österreichische Diplomat Karl Emil von Fürstenberg an Leopold von
Andrian, der Kanzler wäre in eine Gangsterhöhle gelockt und von Gangstern
nach ihrer Art behandelt worden.359 Ernst Karl Winter war überzeugt, an
diesem Tag habe Schuschnigg das Gefühl gehabt, in Hitler „ein wildes Tier“
vor sich zu haben, das nicht gereizt werden dürfe. Der Soziologe konnte dies
nachvollziehen, aber er warf Schuschnigg vor, kapituliert anstatt dem Geg-
ner in die Augen geschaut zu haben.360
Ihm dies als „Schwäche“ anzulasten361, griffe gleichwohl zu kurz. Auch im
Fall des Heimwehrführers Ernst Rüdiger Starhemberg war Schuschniggs
hohes intellektuelles und menschliches Niveau der Kommunikation eher
351 binder/H. schuschniGG, „Sofort vernichten“, 225.
352 hoPfGartner, Schuschnigg, 171.
353 wandrusZKa, Struktur, 344 f.
354 GoldinGer, Schuschnigg, 221.
355 Paxton, Anatomie, 189.
356 Das Gespräch sei „zeitweise im Brüllton“ geführt worden; weinZierl, Zeitgeschichte, 234;
vgl. auch charmatZ, Vom Kaiserreich, 218; GoldinGer, Schuschnigg, 228; GoldinGer/bin-
der, Geschichte, 275; hoPfGartner, Schuschnigg, 84 und 201; simon, Die verirrte Erste Re-
publik,122.
357 Potočnik, Bewusstsein, 225.
358 starhemberG, Memoiren, 25.
359 Prutsch/ZeyrinGer, Leopold von Andrian, 686.
360 heinZ, E. K. Winter, 359 f.; die internationale Forschung beschreibt die Situation so: „Hitler
terrorized Schuschnigg […].“ Und: „Schuschnigg left Berchtesgaden broken and cowed.“
beller, A Concise History, 229.
361 wiPPermann, Faschismus, 77.
5.4 LEBEN UND GEIST 247
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580