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zu geringe Rolle.372 Auch Karl Lugmayer thematisierte die Verantwortung
der Intellektuellen für die Volksgemeinschaft: Er bedauerte, dass den unte-
ren Schichten nicht genügend Bildungsmöglichkeiten offenstünden.373 Die-
ses Faktum wurde auch von Ludwig Adamovich mit leiser Kritik angespro-
chen.374
Freiheit durch höhere Bildung
Richard Meister, „der bedeutendste Repräsentant wissenschaftlicher Pä-
dagogik in der Zwischenkriegszeit“375, kämpfte seit den zwanziger Jahren
für eine philosophisch fundierte, zweckfreie Bildung.376 Die einzig mögliche
Stätte, dieses Ziel in reiner Form umzusetzen, war für ihn das altbewährte
humanistische Gymnasium, die Schule, die jenes Bewusstsein einer europä-
ischen Schicksals- und Kulturgemeinschaft fördere, in das auch Richard Ni-
kolaus Coudenhove-Kalergi große Hoffnungen setzte.377 Ludwig Adamovich
lobte die Vorzüge des humanistischen Gymnasiums, „das heute (um 1950, E.
K.), vielfach aus bloßem Unverstand, so heftig angefeindet wird, ja geradezu
in seiner Existenz bedroht erscheint“.378 Richard Kerschagl, selbst am Wie-
ner Schottengymnasium379 mit klassischer Bildung vertraut geworden, blieb
stets ein Befürworter eines intensiven Lateinunterrichts, „dieser unver-
gleichlichen Schulung des Geistes und des Denkens“.380 Salomon Friedrich
Frankfurter war Mitbegründer und Schriftführer des Vereins der Freunde
des humanistischen Gymnasiums.381
In den zwanziger und dreißiger Jahren wurde dieser Bildungsweg in der
katholisch-konservativen Presse regelmäßig als ideale Vorbereitung auf
das Hochschulstudium gewürdigt:382 Die Alten Sprachen vermittelten eine
sichere Begrifflichkeit, schärften analytische und synthetische Fähigkei-
ten383, schulten Gründlichkeit und Genauigkeit des Denkens, bewirkten
372 henZ, Österreich, 69 f.
373 tarmann, Die Personalität, 30–33.
374 adamovich, Hochschulverwaltung, 49.
375 Grimm, Schulpolitik, 299.
376 meister, Bildungswerte, 19; vgl. wallraf, Kultur, 223–226.
377 ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas, 333.
378 adamovich, (Selbstdarstellung), 11.
379 Zu dieser Bildungsanstalt vgl. G. hartmann, Eliten, 224; stimmer, Eliten, 104 f.
380 B. dachs, Richard Kerschagl, 4 f.
381 enderle-burcel, Mandatare, 77.
382 NR 22. 1. 1927, 29. 1. 1927 (W. Pohl); 10. 3. 1928 (J. KnünZ).
383 NR 22. 9. 1923.
5.4 LEBEN UND GEIST 249
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580