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Lebensmacht betrachte, als Beherrscher der Naturkräfte und als Hilfskraft
der Politik: „Der Arbeiter will kein freies Wissen wie das Bürgertum, son-
dern ein befreiendes Wissen.“414 Es handle sich um ein „Wissen ohne Gewis-
sen“, das wertlos sei.415 All die genannten Standpunkte, die in den realen
Studierendenzahlen in den dreißiger Jahren einen deutlichen Niederschlag
fanden416, entsprachen ebenfalls der konservativ-liberalen Doktrin Wilhelm
Röpkes, der die Einheitsschule nicht zuletzt deshalb ablehnte, weil sie Neid
und Ressentiments verschärfe und die Ungleichheit vergrößere.417
In der Absicht, auch durch die Bildung „natürliche Gemeinschaften“ sicht-
bar werden zu lassen, legte die Schulgesetzgebung der zwanziger und drei-
ßiger Jahre abgestufte, an die Berufsverhältnisse gebundene Bildungsziele
fest.418 Hinsichtlich der strukturellen Rahmenbedingungen des Unterrichts
(zu hohe Klassenschülerzahlen) musste man sich freilich der wirtschaftli-
chen Not beugen.419 Ein Erlass von 1933 erhöhte die Leistungsanforde-
rungen für die Mittelschulen, was verschärfte Selektion bedeutete.420 Der
damalige Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg, selbst an der elitären Je-
suitenschule Stella Matutina ausgebildet421, später im KZ Sachsenhausen
nach Homer und Vergil422, aber auch nach Schiller und Grillparzer423 lech-
zend, verstand sich als Anwalt der akademisch Gebildeten, deren Kennzei-
chen aus klassischer Bildung resultierendes kritisches Denken sei.424 Hier-
für dankte ihm Alois Schönburg-Hartenstein: Er habe bewiesen, dass er der
als richtig erkannten Sache zuliebe auf jede Popularität zu verzichten bereit
sei.425 Die am 23. März 1934 erlassenen Schulgesetze führten zu einer klaren
Trennung der Schultypen.426 Es entstanden Ausleseschulen, die sich auf na-
türliche Begabungsschichtungen beriefen; jeder sollte in „seinem“ Bildungs-
414 NR 7. 6. 1930 (H. GetZeny).
415 NR 21. 6. 1930 (H. GetZeny); Josef Eberle hatte in seinem 1912 erschienenen Buch Groß-
macht Presse das Anliegen der Aufklärung, breite Massen mit Forschungsprozessen be-
kannt zu machen, für unrealistisch erklärt; hofer, Joseph Eberle, 67.
416 Gober, Schule, 177–181.
417 schüller, Wirtschaftshumanismus, 178.
418 sorGo, Schulpolitik, 53.
419 Gober, Schule, 144–148; senft, Neues, 247.
420 sorGo, Schulpolitik, 56–58.
421 Vgl. zum Begriff der Anstaltselite G. hartmann, Eliten, 224; stimmer, Eliten, 104–106.
422 binder/H. schuschniGG, „Sofort vernichten“, 331 und 336 f.
423 binder/H. schuschniGG, „Sofort vernichten“, 352.
424 tálos, Handbuch, 508 (E. lechner).
425 holub, Fürst Alois Schönburg-Hartenstein, 131.
426 schretter, Das ideologische Nahverhältnis, 59–61; sorGo, Schulpolitik, 64 f.
5.4 LEBEN UND GEIST 253
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580