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kreis seine Aufgabe für das Ganze erfüllen.427 Hans Pernter428 stellte analoge
Überlegungen für die Hochschulen an: Er bedauerte deren Überfüllung und
das daraus resultierende Überangebot an Akademikern und forderte – wohl
auch mit Blick auf den Staatshaushalt – eine strengere Auslese.429
Die eben referierten Standpunkte zeigen, dass das im 19. Jahrhundert
gültige Ideal der Kultivierung vorindustrieller Verhaltensweisen in den
Gymnasien weiterhin aufrecht war. Nach wie vor besaß Bildung „eine Art
ständische Imprägnierung durch feudale Wertmuster“. Diese Haltung färbte
auf das Bewusstsein der als Stände sich verstehenden Berufsgruppen ab.430
Im NR wurde 1928 allerdings eine Öffnung gegenüber den Anforderungen
der Moderne thematisiert: Josef Rompel SJ zitierte eine Studie Ferdinand
Degenfeld-Schonburgs, der zufolge Absolventen des humanistischen Gymna-
siums auch im Wirtschaftsleben erfolgreicher seien als andere.431
Bei Max Scheler war das Eintreten für das humanistische Gymnasium432
ein Aspekt der von ihm angenommenen Hierarchie der Werte und des Zu-
sammenhangs zwischen Wissenskultur und politischem System: Die Präfe-
renz für empirisch-induktives Wissen, jene praktische Intelligenz, die eher
den unteren sozialen Schichten eigne, stehe für das demokratische Majori-
tätsprinzip; die Metaphysik hingegen und überhaupt alles, was eine höheren
Grad der Vergeistigung erreicht habe, schwerer zu erreichen sei und mehr
Freiheit bedeute, sei personal und individuell, kennzeichne daher eher die
Oberschicht.433
Man konnte freilich nicht mehr leugnen, dass auch Kontakte zwischen
Kindern aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten vonnöten seien. Diese
aber, so wiederum Richard Meister, sollten außerhalb der Schule erfolgen.434
Zwar müssten fähigen Kindern aus den Unterschichten auch die Gymnasien
offenstehen, aber es sei richtig, dass es schon in den Grundschulen nach Be-
gabungen differenzierte Klassenzüge gebe, in denen Kinder vereint seien,
die vermutlich ähnliche Lebensstellungen einnehmen würden.435 Margarete
Rada hingegen hielt das System der leistungsbezogenen Trennung der Klas-
senzüge für verfehlt. Mit Genugtuung zitierte sie ein Mädchen aus einer
427 All dies wurde 1935 durch neue Lehrpläne umgesetzt; sorGo, Schulpolitik, 69–75 und 82–
87; tálos, Herrschaftssystem (2013), 400 f.
428 Zu seiner Funktion innerhalb der Systemelite vgl. G. hartmann, Eliten, 232.
429 Pernter, Gedanken, 96 f.
430 schwinn, Ständische Verhältnisse, 84 f.
431 NR 28. 7. 1928 (J. romPel).
432 NR 15.12.1928 (P. wust); vgl. hencKmann, Aspekte, 18–22.
433 fröhlich, Der Bürger, 119–121; Good, Max Scheler, 31 f., 89 und 95.
434 Vgl. dazu auch wallraf, Kultur, 214 f.
435 meister, Bildungswerte, 39. 5. DER MENSCH IST
PERSON254
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580