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schnigg formulierte einen ähnlichen Gedanken als Fazit seiner – in der Haft
der Nationalsozialisten angestellten – Reflexionen über den Gang der Ge-
schichte: „Der Herrgott wird schon wissen, warum und wohin.“545
Für Dietrich von Hildebrand bedeutete Demut „die richtige Stellung des Ge-
schöpfes zum Schöpfer“.546 Aus diesem Grund sei sie ein qualifizierendes Merk-
mal aller Führer547: Die Überordnung gegenüber anderen Personen sei durch
„Wertqualitäten“ gerechtfertigt548, die selbstverständliche Überlegenheit und
organische Gefolgschaft zur Folge hätten.549 Verantwortungsträger, so Othmar
Spann, sollten ihre Stellung nicht als Privileg, sondern als Dienst auffassen;
ihr Ethos gebiete es, trotz aller Machtfülle die Freiheit des Einzelnen zu wah-
ren.550 Für die österreichischen Bischöfe bedeutete „das Amt der Oberen nicht
Herrschaft, sondern pflichtmäßige Hingebung an das Wohl derjenigen, um de-
ren willen es Gott verliehen hat“.551 Die SZ unterstrich: „Auch auf politischem
Gebiet ist Glaube und Demut eine Voraussetzung des Heils.“552
Für Karl Lugmayer war ein idealer Staatslenker jener, dem „Dienen
gleich Herrschen ist“; ihm gebühre Ehrfurcht, aber niemand werde Furcht
vor ihm empfinden.553 Diese Eigenschaft (Patriae inserviendo consumor) –
und überdies Ritterlichkeit – bescheinigte Owald Redlich Kaiser Franz Jo-
sef.554 Er verglich den Monarchen mit Leopold I., den ebenfalls unermüdli-
ches Pflichtgefühl ausgezeichnet habe.555 Max Freiherr von Hussarek hielt
es gerade in der Demokratie für wichtig, allen zu Bewusstsein zu bringen,
dass das Sittengebot kein Produkt autonomer Selbstbestimmung der Men-
schen sei, sondern „in Demut“ auf Gott zurückgeführt werden müsse556 – ein
konservativer Liberaler ante litteram, wie mit Bezug auf Wilhelm Röpkes
spätere Warnung vor Willkür und Beliebigkeit557, insbesondere in der Wirt-
schaft, wichtig ist.558
Leopold von Andrian forderte Demut als „unerlässliche geistige Haltung“
von den Wissenschaftern, bezeichnete sie aber auch in allen anderen Le-
545 binder/H. schuschniGG, „Sofort vernichten“, 297.
546 v. hildebrand, Engelbert Dollfuß, 46.
547 v. hildebrand, Memoiren, 177.
548 v. hildebrand, Memoiren, 175.
549 v. hildebrand, Memoiren, 171; vgl. schindler, Lehrbuch III, 797.
550 Pichler, 43; heinrich, Schlüsselbegriffe, 357 f.
551 Knoll, Piffl, 32; auch Dollfuß sprach von Hingabe; dollfuss an österreich, 174.
552 SZ 4. 9. 1932 (O. KnaPP).
553 CS 1. 7. 1934 (K. luGmayer).
554 redlich, Der alte Kaiser.
555 redlich, Ausgewählte Schriften, 53.
556 SZ 2. 10. 1927 (M. von hussareK).
557 habermann, Das Maß, 43 und 46.
558 habermann, Das Maß, 89 und 129.
5.6 KULTIVIERUNG PERSONALER WERTE 267
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580