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genüber hielt es Alexander Novotny für einen Wesenszug des österreichi-
schen Menschen, es nie zugelassen zu haben, dass die Technik dem „see-
lentötenden Amerikanismus“ verfalle, sondern ihre Funktion im Dienst der
Menschlichkeit im Auge behalten zu haben.637
Für Erich Braumüller-Tannbruck war der 1926 in Betrieb genommene
Salzburger Flughafen zwar „Sinnbild des unermüdlich aufstrebenden Men-
schengeistes“, an die Jugend, die Gestalterin der Zukunft, wandte er sich
aber mit mahnenden Worten: „Aus der Vergangenheit kommst du, auf der
Vergangenheit fußest du, auf ihr musst du weiterbauen.“638 Hans Karl Zeß-
ner-Spitzenberg riet den angehenden Ingenieuren an der Hochschule für
Bodenkultur in Wien: „Niemals dürfen wir bloß wurzellose Neuerer sein.“639
Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi teilte derlei Bedenken, er forderte
aber zu einem positiven Umgang mit dem Fortschritt auf. Die Eindämmung
der Technik sei nicht möglich, weil die europäische Kultur „ihrem Wesen
nach aktivistisch und rationalistisch“ sei:640 Daher müsse Europa versu-
chen, den technischen Fortschritt ethisch wettzumachen; der Mensch dürfe
nicht zur Maschine werden und seine organische Herkunft verleugnen.641
Er hoffte, die Technik durch eine entsprechende Ethik gleichsam veredeln
zu können.642 Diese Gedanken legte er in einer 1922 verfassten Abhandlung
mit dem bezeichnenden Titel Apologie der Technik nieder. Manche der darin
getroffenen Feststellungen bestätigen, dass er die Skepsis vieler Zeitgenos-
sen grundsätzlich teilte: „Wie der Körper Organ der Seele ist, so muss sich
die Technik der ethischen Führung unterwerfen.“643 Dass diese Gedanken
nicht rein spekulativer Natur waren, zeigt die Aussage „Ethik löst die sozi-
ale Frage von innen, Technik von außen“.644 Auch Oswald Spenglers Kritik
galt nicht der Technik an sich, sondern dem falschen Umgang der Führungs-
schichten mit ihr, und der Dichter Ernst Jünger war zuversichtlich, dass
die Technik einst das sein werde, was sie zu sein habe, nämlich Organ, Ins-
trument des Menschen.645 Im Spann-Kreis sprach man von einer „soziale(n)
Zensur der Technik“.646
Auch Oswald von Nell-Breuning verdammte die Technik nicht pauschal,
637 MSchKP 1, 973 (A. novotny).
638 braumüller-tannbrucK, Salzburg, 54.
639 K. P. Zeßner-sPitZenberG, Hans Karl, 55.
640 coudenhove-KalerGi, Pan-Europa, 35.
641 coudenhove-KalerGi, Held, 145; vgl. ZieGerhofer-Prettenthaler, Botschafter Europas, 63.
642 coudenhove-KalerGi, Apologie, 73.
643 coudenhove-KalerGi, Apologie, 148.
644 coudenhove-KalerGi, Apologie, 68.
645 boterman, Oswald Spengler, 170 und 201; breuer, Anatomie, 74–76.
646 StL 1937, 140–142 (E. hruschKa). 5. DER MENSCH IST
PERSON276
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580