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sei für die Bauern nicht gut gewesen, weil die Verwaltung im Dorfgericht
in die Hand fremder Berufsjuristen gekommen sei, die alte Rechtsverhält-
nisse nicht verstanden hätten.676 Johannes Messner bevorzugte das deutsche
Recht, weil nur dieses den Prinzipien des Naturrechts entspreche.677
Diese genuin konservativen678 Standpunkte trafen sich mit der für die ro-
mantisch-universalistische Ständelehre kennzeichnenden Auffassung, es
gäbe keine allgemeine Rechtsgleichheit, sondern Recht sei an einen Stand
gebunden: Auch Othmar Spann lehnte das individualistische römische Recht
ab und wollte das deutsche Recht wieder zur Geltung bringen.679 Hierin folgte
ihm Anton Orel, der die Kritik am römischen Recht noch um die Aspekte
„materialistisch“ und „kapitalistisch“ erweiterte.680 Kurt Schuschnigg sah
Recht und Kultur in engstem Zusammenhang mit dem Glauben. Deutsches
Recht habe seinen Anfang genommen „aus der Ehrfurcht vor dem Weistum
der Väter, das die klassische römische Form beseelte durch jene Synthese von
Freiheit und zweckbestimmter unerlässlicher Beschränkung“.681
Mit Blick auf allgemeine Werthaltungen ist im Reigen dieser Denker
schließlich Ernst Karl Winter zu nennen, der die berufsständische Ordnung
als „sozialethisches Problem“ bezeichnete. Er leitete daraus aber nicht die
Forderung nach weitgehendem Verzicht auf die Setzung positiven Rechts ab:
„Natürlich können und sollen die sozialethischen Postulate der Kooperation
auch ihre institutionelle Verfestigung in Rechtsnormen finden: die Gesin-
nungen müssen sich in gesellschaftlichen Einrichtungen offenbaren.“682
Vornehmheit und andere zeitlose Werte
Als Werte, die menschliches Handeln bestimmen können, seien auch Ritter-
lichkeit und Fairness genannt: Rudolf Henz bescheinigte sie Walter Adam.683
Selbst verwendete der Generalsekretär der VF 1934 das Wort „vornehm“,
beispielsweise für die Werbung des Staates für die eigenen Anliegen. Die
staatliche Werbung dürfe nicht „auf rein psychologische Massenwirkung
abgestimmt sein“ und müsse sich daher von Propaganda unterscheiden.684
676 stoiber, Agrarrecht, 41 f.
677 MSchKP 1, 11 (J. messner).
678 Kondylis, Konservativismus, 157 und 284.
679 schneller, Zwischen Romantik und Faschismus, 58.
680 orel, Ständeordnung, 74–82.
681 K. schuschniGG, Dreimal, 227.
682 winter, Arbeiterschaft, 28.
683 henZ, Fügung, 190.
684 CS 23. 12. 1934 (W. adam). 5. DER MENSCH IST
PERSON280
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580