Seite - 281 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Bild der Seite - 281 -
Text der Seite - 281 -
Seine Vorbehalte gegen letzteres Wort führte er auf dessen Verwandtschaft
mit „Reklame“ zurück: Es gehöre dem Bereich der Wirtschaft an und sei da-
her „für eine große politische Idee“ nicht das richtige.685
Ludwig Adamovich empfand nach eigener Aussage bereits als Student
Abneigung gegen das Spektakuläre, das viele seiner Kollegen anzog: Den
Gegenbegriff dazu, nämlich „zurückhaltend“ – diese Art schätzte er an sei-
nem Lehrer Adolf Menzel (Kap. 3.5) –, setzte er mit „vornehm“ gleich.686 Karl
Lugmayer würdigte „jene stillen und vornehmen Männer“, größtenteils aus
dem Adel, die sich Ende des 19. Jahrhunderts um die Lösung der sozialen
Frage bemüht hätten.687 Oswald Redlich wurde von seinem Biographen Leo
Santifaller als „in seinem Wesen eine vornehme, zurückhaltende Natur“ be-
zeichnet, die auch „große Milde“ besessen habe.688 Dietrich von Hildebrand
nannte den Schottenabt Hermann Peichl „ein[en] edle[n], geistig vorneh-
me[n] Mann“.689 Aus dieser Haltung heraus stieß sich Alois Schönburg-Har-
tenstein bei seiner Ernennung zum Staatssekretär für Heerwesen 1933 an
der unter seinem Vorgänger üblichen Praxis gegenseitiger politischer De-
nunziationen und schaffte diese folglich ab.690 Friedrich Funder bezeichnete
die Leo-Gesellschaft als „Ritterschaft des Geistes“: Dieser Kreis, dem auch
Josef Bick angehörte691, war in seinen Augen eine „edle Erscheinung, die aus
dem geistigen Bilde Altösterreichs hinüberragte in die Zeit zwischen den bei-
den Weltkriegen“.692 Über Carl Graf Chorinsky693, in dessen Haus er 1894–
1896 als Privatlehrer gewirkt hatte und dessen Persönlichkeit ihn geprägt
hatte694, bemerkte er: „Hier war der adlige Name nur die Zutat zu einem
vornehmen Herzensadel.“695
„Vornehm“ war eines von Funders Lieblingswörtern; das andere war
685 Für eine solche schlug er „Heimatdienst“ vor; vallaZZa, ,,Wir bauen auf“, 1; adam, Staats-
programm, 128.
686 adamovich, (Selbstdarstellung), 11.
687 K. luGmayer, Grundrisse, 7.
688 santifaller, Oswald Redlich, 190.
689 v. hildebrand, Memoiren, 128.
690 P. huemer, Sektionschef, 121; vgl. demgegenüber die in der VF gewünschte Praxis des De-
nunzierens; tálos, Herrschaftssystem (2013), 184.
691 wohnout, Verfassungstheorie, 328.
692 funder, Aufbruch, 88.
693 Carl Graf Chorinsky, seit 1880 Landeshauptmann von Salzburg, wurde 1887 zum Mitglied
des Herrenhauses ernannt. Seit 1890 war er Präsident des Oberlandesgerichts Wien. Er
war beteiligt an der Reform des Zivilprozessrechts, verfasste juristische Bücher und war
Schöpfer der Sammlung Chorinsky, eines Quellenwerks zur österreichischen Rechtsge-
schichte; öbl 1, 146; G. hartmann, Im Gestern, 206.
694 reiss, Dr. Friedrich Funder, 173 f.; G. hartmann, Im Gestern, 208.
695 funder, Vom Gestern, 59.
5.6 KULTIVIERUNG PERSONALER WERTE 281
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580