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tutionellen“ Sicht kam die organizistische Theorie der Gesellschaft entgegen,
denn auch die Kirche versteht sich als Körper (Corpus Christi mysticum).714
Philipp Bugelnig sah im Credo ein Beispiel für die Verwirklichung der von
ihm angenommenen vier Baugesetze der Gesellschaft: Einheit (in unam),
Gleichartigkeit (sanctam, von sancire, verbinden), Vollständigkeit (catholi-
cam, allgemein) und sinnvolle Ergänzung (apostolicam, Papst und Bischöfe
als Nachfolger der Apostel).715
Ernst Karl Winter schätzte am Christentum den „Freiheits- und Persön-
lichkeitsgedanken“, der auch im autoritären Staat ein zentraler Wert sein
müsse.716 Johann Staud erklärte, es gäbe „für die christliche Persönlichkeit
Bezirke, in die niemand, auch nicht der autoritäre Staat, eingreifen darf“.717
Karl Lugmayer hob die Selbstverantwortung des einzelnen Menschen ge-
genüber dem Schöpfer als Kennzeichen der katholischen Lehre hervor und
bezeichnete die Vollendung der gottgewollten personalen Ordnung als den
Sinn der Geschichte718, allerdings nicht im Sinn des Homo-mensura-Sat-
zes719, sondern im Bewusstsein, die Gemeinschaft sei „der menschlichen Na-
tur wesentlich“.720 Sein Denken prägte auch Lois Weinbergers Christentum
nachhaltig.721
Leopold Engelhart publizierte 1936 ein Werk mit dem Titel Österreichs
Heilige, in dem er die zur Ehre der Altäre Gelangten auf dieselbe Stufe
stellte wie die „Geisteshelden“.722 Ulrich Ilg unterstrich auch als Träger
höchster politischer Ämter seine feste religiöse Verankerung.723 Franz Rehrl
machte häufig Spenden für wohltätige Zwecke und leistete Zahlungen an
die KA, die Leo-Gesellschaft, die Akademiker-Vereinigung und den Malteser
Ritterorden.724 Karl M. Stepan beschäftigte sich bereits als Student in der
Grazer Verbindung Carolina mit religiösen Fragen; später engagierte er sich
in der KA; in den 1950er-Jahren wurde er zum Wegbereiter des Ritteror-
dens vom Heiligen Grab zu Jerusalem in Österreich.725 Für Richard Schmitz,
714 GG 4 (1978), 540 (Organ, G. dohrn-van rossum); hanisch, Konservatives und revolutionä-
res Denken, 209; LK, 302 (F. romiG).
715 buGelniG, Der Ständestaat, 11 und 21 f.
716 winter, Arbeiterschaft, 36.
717 KluwicK-mucKenhuber, Johann Staud, 111.
718 bader, Karl Lugmayer, 19.
719 LK, 303 (F. romiG).
720 CS 1. 7. 1934 (K. luGmayer).
721 KarlicK, Lois Weinberger, 21.
722 enGelhart, Österreichs Heilige, 7–9.
723 ilG, Lebenserinnerungen, 57.
724 sPatZeneGGer, Franz Rehrl, 45.
725 binder 1982, Karl Maria Stepan, 165–168; binder 2003, Karl Maria Stepan, 324.
5. DER MENSCH IST
PERSON284
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580