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Wirkung hat“.10 Eine spezifisch katholische Ständelehre gab es nicht11, aber
im Zuge der Auseinandersetzung mit der christlichen Sozialreform wurde
die Forderung laut, das Wortfeld „Stand“ zu untersuchen. Gerade im „mittel-
ständischen“ Milieu der CSP, wo viele Menschen den Willen zu sozialer Hö-
herentwicklung verspürten, stand ja auch die Bedeutung status, „Zustand“,
im Raum.12 In diesem Sinn räsonierte man beispielsweise, der „Selbstän-
dige“ könne frei und unabhängig Wirtschaft betreiben; das „standesgemäße“
Einkommen, das er erwirtschafte, sichere den Bestand des Betriebs und der
Familie. „Der ‚Stand’ ist [...] die Art und Weise, wie eine Person den eige-
nen Bestand in wirtschaftlicher Weise zu sichern ‚im-stande’ ist.“13 Wilhelm
Schwer umschrieb den Begriff als „gesichertes Stehen“ in einem von Über-
und Unterordnung geprägten größeren Ganzen“, also auch als Rang.14 Nicht
von ungefähr stieß Mitte der dreißiger Jahre das indische Kastenwesen, der
Inbegriff natürlicher Ungleichheit und statischen Denkens, auch in Mittel-
europa auf wissenschaftliches Interesse.15
Im Bewusstsein vieler Zeitgenossen lebte manches von dem weiter, was
Aurel Kolnai 1934 von „der ständischen ‚Atmosphäre’ der vorkapitalisti-
schen Welt“, genauer: von der „unmittelbareren Lebensgemeinschaft zwi-
schen Höheren und Niederen“ sprechen ließ.16 Das Ideal war die von Johan-
nes Messner beschriebene „innere Beruhigtheit (Statik)“ der ständischen
Gesellschaft; die für die individualistische Gesellschaft kennzeichnende
Dynamik, „die schließlich den Bestand der Gesellschaft selbst bedrohte“17,
stand als ein Szenario im Raum, das es abzuwenden gelte. In diesem Sinne
nahm Friedrich Funder die Entwicklungen des 19. Jahrhunderts mit Weh-
mut zur Kenntnis: „Eine alte Welt war in Österreich Mitte der neunziger
Jahre im Zerbrechen. Altgewohnte, wie Gesetze vererbte Vorstellungen
kreuzten sich mit neuen Ideen. Die ständische und feudale Begriffswelt sah
sich von neuen Erscheinungen der Demokratie bestürmt.“18
Rudolf Henz trat in seiner Dichtung dafür ein, Bewährtes nicht anzutas-
ten: Als Sohn eines Obristen hätte die Hauptfigur seines Romans Der Ku-
rier des Kaisers eigentlich gehobene Ansprüche, doch die ihm angediehene
Erziehung als Bäckersohn scheint sein Recht zu schmälern, freilich nur auf
10 messner, Ordnung, 16.
11 beyer, Ständeideologien, 120.
12 orGler, Ständestaat, 210.
13 bader, Die geistige Grundlegung, 160.
14 SZ 1. 4. 1935 (W. schwer); vgl. LThK/III 9 (2000), 924 f. (N. GlatZel).
15 1935, 91–94 (J. evola).
16 Kolnai, Ideologie, 16; zur ständischen Atmosphäre vgl. seliGer, Scheinparlamentarismus, 37.
17 messner, Ordnung, 20.
18 funder, Vom Gestern, 65. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN302
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580