Seite - 309 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Bild der Seite - 309 -
Text der Seite - 309 -
die einzelnen Erbämter in Österreich ob der Enns beschrieb und ihre Inha-
ber vorstellte. Den zweiten Hauptteil widmete er den Erbhuldigungen. In
diesem Zusammenhang behandelte er auch Rechte und Gewohnheiten der
Stände sowie ihr Verhältnis zum jeweiligen Fürsten, jede Huldigung geson-
dert erwähnend, allerdings ausschließlich deskriptiv, ohne jeden Versuch,
auf das Wesen der Stände einzugehen.
Wilhelm Mohr erwähnte in seiner an die Schüler landwirtschaftlicher Bil-
dungsstätten gerichteten Heimatkunde von Vorarlberg, dass die Landstände
„zu wichtigen Bewilligungen herangezogen“ worden seien. Wichtiger als die
Tatsache, dass in Vorarlberg nur Bürger und Bauern Landstände waren,
war ihm der Hinweis, dass diese nicht nur auf Einberufung des Landesfürs-
ten, sondern auch aus eigener Initiative zusammentraten.66 Hier schwingt
die zentrale Botschaft Otto Brunners („Die Stände sind das Land“) mit, die
– gerade in einem kleinen Land leicht vorstellbar67 – nicht partikulare Inter-
essenvertretung, sondern Repräsentation des gesamten Landes bedeutete.68
Rudolf Henz nahm den aus der ständischen Verfassung des Alten Reichs
geläufigen Terminus „Huldigung“ in die Titel seiner anlässlich der Feiern
zur Maiverfassung verfassten Spiele auf (Kap. 8.6). Die Bedeutung dieses
Wortes, nämlich „ritualisiertes Treueversprechen“ als Ausdruck einer bean-
spruchten Legitimität, die auf wechselseitiger Treue beruhte und das ständi-
sche Mitspracherecht implizierte69, ist als politisches Programm für die Ge-
genwart zu lesen. Carl Vaugoin bekundete seine Vorliebe für Huldigungen
in seiner Zeit als Heeresminister bei feierlichen Militärparaden.70
Arthur Seyss-Inquart verwendete 1943 den Begriff „Landstand“ seman-
tisch irreführend für eine Art berufsständische Organisation der Bauern.71
Leopold Figl setzte 1946 in einer Festansprache – aus wissenschaftlicher
Perspektive völlig unkritisch – die Anerkennung der Landstände in Öster-
reich mit der „in ganz Europa erstmalig(en)“ Einführung der Demokratie
gleich.72 Zu dieser Staatsform bekannte sich auch Oswald Redlich73, doch
ohne die naive Gleichsetzung von landständischer Verfassung und repräsen-
tativer Demokratie vorzunehmen.
Das Denken des Wiener Historikers war – entsprechend seinen wissen-
schaftlichen Schwerpunkten – vom Bild der Stände als politisches Gegen-
66 mohr, Heimatkunde, 16 f.
67 oestreich, Zur Vorgeschichte, 73–79.
68 stollberG-rilinGer, Vormünder, 14, Anm. 41.
69 ammerer, Die Stände, 22; brunner, Die Freiheitsrechte, 193–195.
70 staudinGer, Bemühungen, 348; staudinGer, Vaugoin, 149.
71 seyss-inQuart, Vier Jahre, 172.
72 fiGl, Ansichten, 95.
73 redlich, Ausgewählte Schriften, 41.
6.3 DER STAND UND DAS STANDESGEMÄSSE 309
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580