Seite - 324 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Bild der Seite - 324 -
Text der Seite - 324 -
Rudolf222, drohte zumal der hohe Adel in Bedeutungslosigkeit zu versinken.223
Um die Existenzberechtigung des Adels durch die Frage nach möglichen
künftigen Aufgaben gleichwohl sicherzustellen, war 1914 die Vereinigung
katholischer Edelleute in Österreich gegründet worden (reaktiviert 1922),
eine quasi-ständische Korporation, die der CSP nahestand.224 Eines der pro-
filiertesten Gründungsmitglieder war Hans Karl Zeßner-Spitzenberg 225;
als weitere prominente Mitglieder sind im gegebenen Kontext Alois Schön-
burg-Hartenstein, Edmund Glaise von Horstenau und Kurt Schuschnigg
zu nennen.226 Leitender Gedanke war, dass echter Adel niemals erlöschen
könne, weil es um eine Haltung gehe.227 Die Vereinigung bekannte sich zu
Kaisertreue, Vaterlandsliebe und christlich-katholischer Gesinnung und
verwahrte sich gegen unangebrachte Überhebung. Außer den Familien, die
im neuen Österreich Grundbesitz hatten, wollte man auch jene, die als Offi-
ziere oder Beamte gedient hatten und in der Republik nunmehr ohne Beruf
waren, bei Bedarf unterstützen.228
Während das Adelsaufhebungsgesetz in die Verfassung von 1920 aufge-
nommen worden war, wurde es aus der Maiverfassung ausgespart; es be-
stand als einfaches Bundesgesetz weiter.229 Im Ständestaat genoss der Adel
hohe Wertschätzung.230 Nicht von ungefähr legte Leopold von Andrian in
seinem als Dialog angelegten Katechismus gerade dem Vertreter des Adels
das zum Ideal der Zeit erhobene Bekenntnis zur „Gesamtheit der Stände“
als Voraussetzung für das Gelingen des großen Werks der Geschichte in
den Mund.231 Er nannte den Adel ein „zusammenhaltendes Element in der
Geschichte Österreichs“ – so wie sich überhaupt die spezifisch österreichi-
sche „Gesittung“ in den obersten Ständen herausgebildet habe. In höherem
222 steKl, Der erbländische Adel, 954 f.; waltersKirchen, Adel, 156 f.; Franz Brandl beschrieb
die Kritik des Kronprinzen wie folgt: „Nein, unser Adel ist kein Stand mehr, er ist ein In-
teressentenklüngel, der verhindern möchte, dass sich eine aufgeklärte Nation Gedanken
macht über die Immoralität von Besitz ohne Arbeit. In Österreich arbeiten nur der Bürger
und der Bauer, und da soll ich mich nicht auf ihre Seite stellen?“; brandl, Ein Reich, 247.
223 waltersKirchen, Adel, 84.
224 G. hartmann, Eliten, 227 f.; steKl, Zwischen Machtverlust und Selbstbehauptung, 164;
steKl, Österreichs Adel, 106 f.; stimmer, Eliten, 495 und 755.
225 K. P. Zeßner-sPitZenberG, Hans Karl, 56.
226 neuhäuser, Legitimismus, 31.
227 waltersKirchen, Adel, 25 f., 85 und 173 f.
228 holub, Fürst Alois Schönburg-Hartenstein, 120 f.
229 mosser, Legitimismus, 26 und 111; falle, Wurzeln, 61.
230 hanisch, Konservatives und revolutionäres Denken, 221; hanisch, Traditionelle Männlich-
keitsrollen, 222.
231 v. andrian, Oesterreich, 386; zur Bedeutung des Adels im Ständestaat vgl. G. hartmann,
Eliten, 228. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN324
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580