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Titel umfassen, sofern es sich um „überragende Persönlichkeit(en)“ handle.
Daraus leitete er die Forderung nach Erweiterung der Heiratskreise und
nach gemeinsamer Erziehung adliger und nicht-adliger Kinder in öffentli-
chen Schulen ab.243 Gleichwohl verteidigte er die Positionen des Adels und
reklamierte für ihn Schlüsselstellen in Staat und Gesellschaft.244 Mit seinem
Standpunkt demonstrierte der Mitgründer des Reichsbundes der Österrei-
cher (Kap. 5.7) die ab ca. 1900 feststellbare Umstellung von geschlossenen
auf offene Elitenkreisläufe, die aber keineswegs den vollständigen Bruch mit
den alten Eliten bedeutete, sondern Elemente des vorhandenen Adels rein-
terpretierte.245 Nach 1945 galt dies auch in konservativ-liberalen Kreisen als
wünschenswert: Wilhelm Röpke forderte einen „natürlichen“ Adel, in den
durch Leistung ein jeder aufsteigen könne, der ein „exemplarisches, entsa-
gungsvolles, am Gemeinwohl orientiertes Leben führe“. Ausdrücklich hob er
ein „fleckenloses Privatleben“ hervor, dazu den für liberale Wirtschaftstheo-
rie selbstverständlichen Grundsatz richesse oblige.246
Eher enttäuschend verläuft die Lektüre der 1929 erschienenen Geschichte
der Familie Planck-Planckburg aus der Feder eines ihrer Deszendenten, des
im BWR vertretenen Karl247, der sich auf die Aufbereitung von Material
und dessen (äußerliche) Einordnung in den (lokal)historischen Kontext be-
schränkte, auf Überlegungen grundsätzlicher Art jedoch verzichtete. Gleich-
wohl steht das Werk für den hohen Stellenwert, den Geschichte in der Aus-
bildung des Adels hatte, Ausdruck des Wunsches, dem eigenen Geschlecht
überzeitliche und überindividuelle Geltung bescheinigen zu können.248
Die Mandatare hatten vom Adel ein uneingeschränkt positives Bild. Als
Beispiel sei Friedrich Funders Einschätzung des Prinzen Aloys Liechten-
stein angeführt249, des Führers der CSP nach dem Tod Karl Luegers und
Vorkämpfers der katholischen Soziallehre250, der von manchen Standesge-
nossen aus diesem Grund kritisiert wurde.251 Den Präsidenten des 1905 ge-
gründeten Piusvereins, Franz Graf Walterskirchen, charakterisierte Funder
als einen „Pair aus altösterreichischer Familie […]. Er war einer der Ak-
tivisten des österreichischen Adels, ein hochgebildeter, schlichter und frei-
243 NR 14. 8. 1921 (A. J. resséGuier de miremont), vgl. seeliG, Die „soziale Aristokratie“, 169.
244 NR 21. 8. 1921 (A. J. resséGuier de miremont)
245 menninG, Adel, 171 f.; seeliG, Die „soziale Aristokratie“, 159 und 168.
246 habermann, Das Maß, 188.
247 Zu seiner familiären Sozialisation vgl. slaPnicKa, Oberösterreich, 207 f.
248 menninG, Adel, 189; steKl, Der erbländische Adel, 960.
249 funder, Vom Gestern, 466; vgl. auch reiss, Dr. Friedrich Funder, 173 f.
250 banauch, Prinz Aloys von und zu Liechtenstein, passim; leischinG, Die römisch-katholische
Kirche, 217; schmit, Christliche Arbeiterbewegung, 8; kritisch stimmer, Eliten, 747.
251 waltersKirchen, Adel, 160. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN326
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580