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Bedauern, dass „das adlige Element“ in der Republik „für die damalige Rolle
bis zum heutigen Tag nicht genügend bedankt“ wurde.261
Was blieb, war ein hoher Ehrbegriff: Als Alois Schönburg-Hartenstein
1936 in den Bestechungsskandal rund um die Versicherungsgesellschaft
Phönix262 verwickelt wurde und daher aus dem SR ausschied, verzichtete er
auf ein weiteres politisches Amt, verlangte aber, als seine Unschuld erwie-
sen war, eine Rechtfertigung durch den Generals-Ehrenrat der Österreichi-
schen Offiziersvereinigung.263
Andere Autoren hoben Affinitäten zwischen Adel und Bauerntum hervor.
Für Oswald Spengler bildete der Adel einen „Urstand“: Er stehe für die erd-
gebundene, politisch-historische Seite des Lebens und lebe in einer Welt der
Tatsachen. Die Sorge für das Gemeinwesen sei ihm die vornehmste Pflicht.
Durch die enge Bindung an den Boden und durch die Sorge um Geschlech-
terfolge und Familie seien wichtige Gemeinsamkeiten mit dem Bauernstand
gegeben.264 Leopold von Andrian nannte Bauerntum und Adel die wichtigs-
ten Kulturträger.265
Hans Karl Zeßner-Spitzenberg wies auf die Verknüpfung von Landguts-
wirtschaft und Familienleben hin266, die angesichts des Verzichts der öster-
reichischen Regierungen auf Enteignungen des Großgrundbesitzes gerade
beim hohen Adel in der Tat auch weiterhin der Realität entsprach.267 Edu-
ard von Baar-Baarenfels beschrieb die gemeinsamen Züge von Adel und
Bauerntum anhand eines Vergleichs von Charakteren: „Dollfuß, aus einer
kleinen Bergbauernfamilie, und Starhemberg, aus einem der vornehmsten
und ältesten Geschlechter, aus Dynastenblut stammend, hatten viele Ähn-
lichkeiten. Man konnte im Verhalten dieser beiden Männer wieder beobach-
ten, dass Bauern und Aristokraten [...] sehr viele Eigenschaften gemeinsam
haben, vor allem die Liebe zu ererbtem Boden, Selbstbewusstsein, das die
eigene Scholle verleiht, sowie gewisse Führereigenschaften, die die Gewohn-
heit, in ihrem Wirkungskreis zu befehlen, hervorbringt.“268 Dass insgesamt
zwischen Bauern und Großgrundbesitzern mehr Gegensätze als Gemein-
samkeiten bestanden, übersah der Herrschaftsdirektor der Schwarzen-
261 funder, Aufbruch, 41 f.
262 Vgl. acKerl, Phönix-Skandal, passim; Kriechbaumer, Dieses Österreich, 473.
263 holub, Fürst Alois Schönburg-Hartenstein, 157 f.; wohnout, Verfassungstheorie, 547–549.
264 sPenGler, Untergang, 973, 983 und 1013 f.; vgl. boterman, Oswald Spengler, 272.
265 dorowin, Retter, 100.
266 H. K. Zeßner-sPitZenberG, Einführung, 18 f.
267 schöPfer, Umbrüche, 335 f.
268 Anita KorP, Aufstieg, 70; zur Bindung beider Stände an die Scholle vgl. waltersKirchen,
Adel, 145; zur Freundschaft der ungleichen Charaktere vgl. britZ, Die Rolle, 33 f.
6.
STANDESBEWUSSTSEIN328
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580