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Von Ulrich Ilg, dessen politische Karriere im Vorarlberger Bauernbund
begonnen hatte296, liegt eine späte Äußerung vor, aus der gesundes Selbst-
bewusstsein des Standesvertreters spricht: „Meine Eltern waren mit Leib
und Seele Bauersleute.“297 Er war der Meinung, auf dem Land gäbe es mehr
glückliche Familien und zufriedene Menschen als in der Stadt.298 Johann
Blöchl erklärte noch Jahrzehnte nach dem Ende seiner politischen Aktivi-
tät, die Zeit von der Übernahme des väterlichen Hofes (1919) bis zum Ein-
tritt in die Politik (1930) sei die schönste seines Lebens gewesen.299 Von Josef
Reither, dem wichtigsten Agrarpolitiker des Ständestaates, einem machtbe-
wussten „Bauernfürsten“ (E. Hanisch)300, erzählte man, er sei in einer Acker-
furche entbunden worden.301 Leopold Figls Sozialisation war ebenfalls in ka-
tholisch-bäuerlichem Milieu erfolgt.302
Ignaz Seipel – auch seine familiären Wurzeln lagen am Land303 – ver-
band mit den Bauern „eine uralt eingewurzelte Demokratie“; daher besä-
ßen sie ein größeres Recht als andere, sich um öffentliche Angelegenheiten
zu kümmern.304 Deutlicher als zuvor nahmen die organisierten Bauern in
den 1920er-Jahren denn auch das Vertretungsrecht gesamtgesellschaftli-
cher Interessen in Anspruch.305 Dollfuß erhob zwar den Anspruch, stets die
gesamte Wirtschaft im Blick zu haben306, glaubte aber, dass die Landwirt-
schaft innerhalb der Volkswirtschaft eine Sonderstellung einnehme307 – eine
Ansicht, der die rezente Forschung das Scheitern seiner Wirtschaftspolitik
zuschreibt.308 Josef Eberle bescheinigte den Bauern „mehr Kultur, mehr
sichere Instinkte, mehr reiferes Urteil“ als den Städtern.309 Kurt Schusch-
nigg sprach ihnen anlässlich der berufsständischen Wahlen im Oktober 1934
seine persönliche Verbundenheit aus.310
296 Kessler, Ulrich Ilg, 73.
297 ilG, Lebenserinnerungen, 8.
298 ilG, Uns alle, 45.
299 blöchl, Lebenserinnerungen, 71.
300 hanisch, Die Politik, 46, 49 und 56; vgl. auch G. hartmann, Eliten, 234; lebensaft/ment-
schl, Feudalherren, 105–108; KluGe, Dollfuß, 129; KluGe, Bauern, 369; miller, Engelbert
Dollfuß, 65; waltersKirchen, Dollfuß, 84.
301 hanisch, Die Politik, 72; vgl. auch brucKmüller, Bauern, 120.
302 Kriechbaumer, Leopold Figl, 125 f.
303 K. v. KlemPerer, Ignaz Seipel, 94.
304 Zit. nach rennhofer, Ignaz Seipel, 547.
305 KluGe, Dollfuß, 130.
306 KluGe, Bauern, 411.
307 dollfuss an österreich, 150; vgl. burKert-dottolo, Das Land, 101.
308 JaGschitZ, Dollfuß, 213 f.
309 hofer, Joseph Eberle, 27.
310 K. schuschniGG, Österreichs Erneuerung, 112.
6.5 BAUERNTUM ALS IDEAL 331
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580