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internationalen Sanktionen gegen Italien Autarkie als Ziel der italienischen
Wirtschaft412 –, saßen im österreichischen Parlament viele Abgeordnete mit
nüchternem Sinn für die Realität, etwa jene, die im November 1932 die Ag-
rarpolitik der Regierung ablehnten, weil sie den in Deutschland aufgekom-
menen Autarkiegedanken zu rezipieren sich anschicke. Sie beriefen sich
auf Wilhelm Röpke, „bekanntlich ein bürgerlicher Gelehrter“, der die nati-
onalsozialistische Propaganda für die Autarkie als sprachliche und geistige
Zuchtlosigkeit bezeichnet habe, weil sie den Wirtschaftsprozess schrumpfen
lasse.413
Diesen Standpunkt vertiefte Wilhelm Taucher: Obwohl auch er nicht ohne
eine gewisse Verklärung auf die Zeit der Bedarfswirtschaft zurückblickte,
wusste er, dass diese schon lange vor dem Ersten Weltkrieg aufgehört hatte.
Nunmehr gelte es, die Verflechtung der einzelnen Volkswirtschaften unter-
einander zu beachten.414 Er bedauerte, dass manche Verantwortliche dies
übersähen: „Statt dass die Bildung großer Wirtschaftsräume angestrebt
wurde, […], feierte Autarkie von Zwergen Orgien.“415
Kleinräumig machte der Autarkiediskurs den Zwischenhandel zum
Thema. Selbst Anton Orel, ein konsequenter Verfechter der Bedarfswirt-
schaft, räumte ein, dass es den Handel in einem gewissen Ausmaß brauche,
er solle aber direkt beim Produzenten erfolgen.416 Gertrud Spinnhirn for-
derte eine möglichst enge Verbindung von Landwirtschaft und Handel.417
August Zell lobte, dass in Österreich viele Erzeuger auch Händler waren.418
Angesichts des gleichwohl unwiderruflichen Durchbruchs kapitalistischer
Strukturen ließ sich auch die Auseinandersetzung mit wirtschaftsethischen
Themen nicht vermeiden. Eduard Ludwig teilte Viktor Kienböcks Stand-
punkt, die Finanzwirtschaft habe lediglich Hilfsmittel der Politik zu sein.419
Josef Resch legte in Zusammenhang mit seinen Überlegungen zur Sozialver-
sicherung ein indirektes Bekenntnis zur Bedarfswirtschaft ab420, und Julius
Raab warnte noch 1954 vor einem geeinten Europa auf bloß wirtschaftlicher
Basis, mit Wehmut an den Zerfall der Monarchie zurückdenkend.421 Fried-
rich Funder erläuterte Vogelsangs Forderung nach einem „allgemeinen mä-
412 mittelmeier, Austrofaschismus, 117 f.; Payne, Geschichte, 293.
413 ADÖ 8/1248; vgl. mooser, Liberalismus, 138.
414 taucher, Der gegenwärtige Stand, 68–76.
415 taucher, Der gegenwärtige Stand, 74.
416 orel, Ständeordnung, 69–71.
417 sPinnhirn, Agrarpolitik, 38–40.
418 Zell, Ständische Staats-Gliederung, 13.
419 ludwiG, Österreichs Sendung, 202.
420 holiK, Sozialminister, 56.
421 raab, Ansichten, 34. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN340
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580