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ßigen Wohlstand“, aber dessen Ablehnung jeglicher „Förderung und Befrie-
digung des Luxus“422 und hob die Gefahren der Geldwirtschaft hervor.423
Hans Karl Zeßner-Spitzenberg akzentuierte den Unterschied zwischen
Industrie und Handel, wo es in höherem Maß um das „reine Geldverdienen“
gehe, und bäuerlicher Wirtschaft, die „ihrem Wesen nach eine Lebensform“
sei, „ausgestattet mit ethischen Beziehungen, deren Beachtung der privat-
wirtschaftliche Standpunkt nicht vernachlässigen kann. Geist und Wesen
der Landgutswirtschaft sind nicht kapitalistischer, auf Geldmacherei als
Selbstzweck gerichteter Natur. Wenigstens das Bauerngut [...] ist nicht von
diesem Geist beherrscht; ja auch das des feudalen Latifundienbesitzers hat
kaum diesen Charakter. Erst wo die moderne Aktiengesellschaft auf das
landwirtschaftliche Gebiet übergreift, wird da und dort der rein kaufmän-
nische, reine Gelderwerbsgeist zur Herrschaft gebracht“.424 Ähnliche Thesen
vertrat August M. Knoll.425
Peter Lütz erörterte den Zusammenhang der auch von ihm zum Ideal er-
klärten Bedarfswirtschaft mit der notwendigen Ungleichheit der Menschen:
Sie brauche nicht als bloße Tauschgerechtigkeit verstanden zu werden, son-
dern sei mit dem Prinzip der „Standesgemäßheit“ vereinbar.426 Georg Baum-
gartner verband das Bekenntnis zur Bedarfswirtschaft mit den in der ka-
tholischen Moraltheologie verankerten Aufrufen zu karitativer Leistung427,
auch dies ein Bereich, der die soziale Ungleichheit geradezu zur Vorausset-
zung hatte.428 Er hob außerdem den „unmittelbar ethischen Wert“ der Ar-
beit hervor: Ursprünglich Folge und Strafe des Sündenfalls, rege sie nun zu
positiver Tugendübung an. Auch er verwies auf das im Ganzen Haus herr-
schende Sittengesetz, warnte aber vor unkritischer Rückkehr zu mittelalter-
lichen Formen.429 Ähnlich realistisch beurteilte Ulrich Ilg die Möglichkeiten:
Obwohl ungehemmter Kapitalismus verwerflich sei, könne es reine Bedarfs-
wirtschaft in der Gegenwart nicht mehr geben. Oberstes Regulativ des Wirt-
schaftslebens, so seine mit Leopold Figl geteilte Überzeugung430, dürften
nicht Gesetze sein, sondern es brauche eine entsprechende Ethik aller Be-
teiligten.431 Allen gemeinsam war die von Engelbert Dollfuß ausgesprochene
422 funder, Aufbruch, 166.
423 funder, Aufbruch, 33.
424 H. K. Zeßner-sPitZenberG, Einführung, 17.
425 Knoll, Von Seipel, 16.
426 lütZ, Der Ständestaat, 34.
427 baumGartner, Arbeit und Erwerb, 20.
428 Kustatscher, Haus und Familie, 161 f.
429 baumGartner, Arbeit und Erwerb, 39–43.
430 fiGl, Ansichten, 179.
431 ilG, Uns alle, 27 f.
6.5 BAUERNTUM ALS IDEAL 341
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580