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wohl auch allgemein – feststellte, zeitgemäß verjüngt werden.566 Richard
Nikolaus Coudenhove-Kalergi machte sich Gedanken über die Gesetze der
erotischen Anziehung: Je niedriger organisiert ein Mensch sei, umso leich-
ter falle ihm die Gattenwahl; der höher organisierte Mensch hingegen finde
schwerer einen adäquaten Partner.567
Diese Sicht der Ehe, die den innersten Kern ständischen Denkens trifft,
entspricht personalistischer Philosophie.568 Dietrich von Hildebrand charak-
terisierte Ehe und Familie als nicht nur vitale, sondern geistige Gemein-
schaften.569 Ausdrücklich unterschied er zwischen Familie und Sippe, welch
Letztere eine lediglich in der vital-psychischen Sphäre verankerte Gemein-
schaft sei.570 Noch weiter entwickelte diesen Gedanken Friedrich Heer,
der „die Verteidigung des Menschen [...] als eine Verteidigung der Ehe“ be-
griff.571 Ignaz Seipel nannte die Ehe die erste Stufe der Organisation der
Menschheit572, Hans Karl Zeßner-Spitzenberg propagierte diesen Gedanken
vor 1934 als Funktionär katholischer Erziehungsvereine, später im BKR als
Vertreter des Eltern- und Erziehungswesens.573
Urform der Gesellschaft und Staat im Kleinen
Die Ehe galt deshalb als so wichtig, weil sie die Familie begründete, wie
besonders die katholische Kirche seit dem 19. Jahrhundert hervorhob: Für
Bischof Wilhelm Emanuel von Ketteler574, Karl Freiherr von Vogelsang575,
Franz Martin Schindler576 oder Albert M. Weiss577 war diese das Urbild des
Staates. Familie und Staat seien die Folge des dem Menschen innewoh-
nenden Sittengesetzes. Sie bildeten ein je eigenes Ganzes, und je mehr ein
Mensch in dieses integriert sei, umso mehr Anteil habe er am Menschsein.578
566 heinZ, E. K. Winter, 326.
567 coudenhove-KalerGi, Ethik, 123.
568 sPaemann, Personen, 255.
569 v. hildebrand, Memoiren, 188; seifert, Dietrich von Hildebrand, 184 f.
570 v. hildebrand, Memoiren, 196.
571 Zit. nach adunKa, Friedrich Heer, 177.
572 rennhofer, Ignaz Seipel, 62 f.
573 K. P. Zeßner-sPitZenberG, Hans Karl, 24 f.; wohnout, Verfassungstheorie, 292; wohnout,
Traditionsreferat, 72.
574 Grafeneder, Arbeiterfamilie, 69; KrüGer, Demokratisches und ständisches Denken, 331.
575 allmayer-becK, Vogelsang, 131 und 134.
576 schindler, Lehrbuch III, 758 f.
577 A. M. weiss, Wesen, 24.
578 otten, Die „Rettung“, 89; A. rauscher, Die soziale Natur, 27; tálos, Herrschaftssystem
(2013), 78. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN356
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580