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ser, so der Schottenabt, ergänze die Arbeit der Eltern, könne sie aber nicht
ersetzen und dürfe nicht in sie eingreifen.646
Fast identischer Formulierungen bedienten sich Wilhelm Schmidt
SVD647, Franz Kolb648 und Richard Schmitz.649 Letzterer forderte 1935,
die Schule müsse viel mehr als bisher „planmäßig mithelfen, die Familie zu
schützen, zu fördern“.650 Unter „Erziehung“ sei „normalerweise“ die Erzie-
hung durch die Familie zu verstehen.651 Konstantin von Hohenlohe traf die
Feststellung, der Staat habe die Familie nicht zu stören, in Zusammenhang
mit seinem Plädoyer für das kirchliche Schulmonopol.652 Auch Bundesprä-
sident Miklas war ein Befürworter des Erziehungsmonopols der Eltern und
der katholischen Kirche.653 Wilhelm Röpke befasste sich zwar nicht mit dem
konfessionellen Thema, das Recht der Erziehung durch die Familie war aber
auch für ihn unantastbar: Es könne nicht auf die Schule abgewälzt wer-
den.654
Dass dieser Gedanke seit den zwanziger Jahren so sorgfältig kultiviert
wurde, liegt daran, dass sich auch der Sozialismus im Bereich Erziehung
sehr engagierte.655 Im NR erschienen zwischen 1926 und 1929 mehrere Bei-
träge von P. Zyrill Fischer OFM über die besonders in Wien sehr starke so-
zialdemokratische Erziehungsbewegung Kinderfreunde.656 Die Artikelserie,
deren Verfasser einer der führenden Kämpfer gegen den Nationalsozialis-
mus – und von dessen Mächtigen entsprechend angefeindet – war657, wollte
die Leser mit den Maximen sozialistischer Erziehung vertraut machen und
zu entsprechenden Gegeninitiativen aufrufen.658 Eine solche konnte Fi-
scher 1928 mit der damals zehn Jahre alten Frohen Kindheit, einer unpoli-
646 NR 25. 1. 1930 (H. Peichl).
647 SZ 1. 3. 1931 (W. schmidt SVD).
648 Kolb, Heirat, 131–133.
649 SZ 17.6. 1934 (R. schmitZ).
650 R. schmitZ, Die Bedeutung, 9.
651 R. schmitZ, Das christlichsoziale Programm, 7 und 57; vgl. KlotZ, Sturm, 41.
652 hohenlohe, Ständestaat, 15; vgl. Gober, Schule, 72 f.; hanisch, Konservatives und revoluti-
onäres Denken, 169; Kustatscher, Haus und Familie, 152 f.; sorGo, Schulpolitik, 123–125.
653 lanG, Bundespräsident Miklas, 95; er setzte sich auch für die konfessionelle Schule ein; ebd., 88
654 habermann, Das Maß, 21; schüller, Wirtschaftshumanismus, 177 f.
655 R. schmitZ, Der Weg, 14.
656 Vgl. drobesch, Vereine, 1124; Klieber, Quadragesimo anno, 353; sonnleitner, Widerstand,
89; thoma, Mahner, 45 f.
657 buchmayr, Der Priester, 154; connelly, From Enemy, 112; ePPel, Österreicher 1, 14; KuG-
ler, Die frühe Diagnose, 20–105.
658 NR 13. 2. 1926, 20. 2. 1926, 7. 3. 1926, 13. 3. 1926, 3. 4. 1926; 24. 7. 1926; 26. 3. 1927, 2. 4.
1927, 16. 4. 1927, 23. 4. 1927; 6. 4. 1929, 13. 4. 1929 (Z. fischer OFM); auch Franz Brandl
nahm die sozialdemokratische Konkurrenz zur katholischen Erziehungsarbeit als Bedro-
hung wahr; brandl, Kaiser, 373. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN362
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580