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Eduard von Baar-Baarenfels689 hatte seine Mutter als vorbildliche Gattin
in Erinnerung, die in Grundsatzfragen sehr streng gewesen sei; sie habe „die
Pflichten, die einer Offiziersfrau in damaliger Zeit oblagen, mit den Aufga-
ben gegen ihre Familie und mit der oft nicht geringen Arbeitslast, die ein
größerer Haushalt erforderte, in vorbildlicher Weise in Einklang zu bringen
verstanden“ und sei dem Vater eine hervorragende Stütze gewesen.690 Derlei
Formen der Idealisierung von Frauen waren gerade im Adel weit verbreitet
(nicht von ungefähr wurde Frauenemanzipation demselben Muster zuge-
ordnet wie die Abschaffung der Adelsprivilegien691); aber auch in anderen
Schichten wurde vor allem die weibliche Opferwilligkeit geschätzt.692
Was im Adel recht war, musste im Kaiserhaus billig sein. In einem Nachruf
auf Erzherzogin Marie Valerie, Tochter des Kaisers Franz Josef und Gemahlin
von Erzherzog Franz Salvator von Österreich-Toskana, lobte das NR ihre Güte,
Bescheidenheit und rastlose Tätigkeit als Hausfrau im Stil bürgerlicher Frau-
en.693 Friedrich Funder zitierte Erzherzog Franz Ferdinand mit der Aussage,
seit er seine Frau besitze, „sei er vollkommen glücklich, und in seinem Heim
finde er Trost für alle die Mühsale, die das Leben mit sich bringt“.694 Engagiert
beschrieb Funder, wie Sophie 1908, zur Zeit der Annexion Bosniens, als be-
sorgte „Familienmutter“ mit dem Chef der Militärkanzlei verhandelte.695 Einen
ähnlichen Eindruck vermittelte ihm im September 1918 Kaiserin Zita.696
Dieselbe Einstellung herrschte im bäuerlichen Bereich: Florian Föder-
mayr beschrieb die Vorzüge der seit 1902 mit ihm verheirateten Frau damit,
dass mit ihr „eine ebenso tüchtige, fleißige, umsichtige Hausfrau wie her-
zensgute Gattin“ auf seinen Hof gekommen sei697, eine Erfahrung, die sein
politisches Handeln bestimmt habe.698
Leopold Teufelsbauer räumte ein, dass die Hochschätzung der Frau nicht
dieser „an und für sich, sondern der [...] Mutter und Erzieherin des kommen-
den Bauerngeschlechts“ gelte.699 Anton Thir sprach – wie Engelbert Doll-
689 Der gleichnamige Vater Eduard Baars wurde nach ununterbrochener 40-jähriger Dienst-
zeit im österreichischen Militär am 14. Oktober 1913 in den Adelsstand (von Baarenfels)
erhoben; Anita KorP, Aufstieg, 11.
690 Anita KorP, Aufstieg, 11.
691 hauch, Vom Androzentrismus, 353.
692 waltersKirchen, Adel, 50 f.
693 NR 1. 11. 1924 (F. schnürer).
694 Zit. nach funder, Vom Gestern, 378.
695 funder, Vom Gestern, 304.
696 funder, Vom Gestern, 431 f.
697 födermayr, Vom Pflug, 12.
698 födermayr, Vom Pflug, 236.
699 teufelsbauer, Landfrauenarbeit, 1 f.; vgl. bandhauer-schöffmann, Männerstaat, 256;
rennhofer, Ignaz Seipel, 241. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN366
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580