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Im BKR war keine Frau zur Wahrung der Interessen der Mütter vertre-
ten.763 Die Frauen sollten mit den innerhalb der VF bestehenden, vornehm-
lich von Aristokratinnen getragenen764 Einrichtungen das Auslangen finden:
Im März 1934 wurde zu Zwecken der Beratung, aber auch der Propaganda
ein Mutterschutzwerk, im Sommer 1934 auch ein Frauenreferat gegründet,
Letzteres in Anlehnung an faschistische Vorbilder.765 Am Muttertag des
Jahres 1937 versprach Bundeskanzler Schuschnigg, seine Regierung werde
sich um eine Erweiterung der Wirkungsmöglichkeit des Mutterschutzwerkes
bemühen.766 Das Frauenreferat sollte die politischen Interessen der Frauen
wahrnehmen, faktisch lag der Schwerpunkt jedoch auf Sozialarbeit.767 In den
1990er-Jahren durchgeführte Interviews mit Frauen aus der Mittelschicht,
geboren zwischen 1899 und 1919, ergaben, dass die Erinnerung an diese
Einrichtungen im hohen Alter nicht mehr vorhanden war.768
Frauenfreundliche Positionen
Es fehlte auch in konservativen Kreisen nicht an Politikern mit nüchternem
Blick für die soziale Realität. Einen solchen besaß etwa Karl Lugmayer – der
sich folglich Zugeständnisse abnötigen ließ: Soweit eine Frau an ihren häus-
lichen Pflichten festhalte, dürfe ihr eine außerhäusliche Erwerbsarbeit nicht
verwehrt sein.769 Denn wie Leopold Kunschak wusste auch er, dass die nied-
rigen Einkommen der Männer die Frauenarbeit geradezu zu einer Notwen-
digkeit machten.770 Franz Kolb erwähnte – kommentarlos – eine bald nach
dem Ersten Weltkrieg entstandene Organisation katholischer Arbeiterin-
nen, den Verband der erwerbstätigen katholischen Frauen und Mädchen.771
Einen weiten Horizont in der Frauenfrage gab Franz Karl Ginzkey zu
erkennen, der einen seiner Romanprotagonisten tiefe Zuneigung zu einer
Klavier- und Sprachlehrerin fassen ließ. In einem in einer Frauenzeitschrift
763 ennsmann, Frauenpolitik, 12.
764 Kirchmayr, Frauenpolitik, 33–35.
765 bandhauer-schöffmann, Männerstaat, 261–267; ennsmann, Frauenpolitik, 18–26; Grafen-
eder, Arbeiterfamilie, 76; hauch, Vom Androzentrismus, 360; Kirchmayr, Frauenpolitik, 31
und 40–44; tálos, Herrschaftssystem (2013), 386–393.
766 K. schuschniGG, Österreichs Erneuerung, 174.
767 ennsmann, Frauenpolitik, 19 und 24; Grafeneder, Arbeiterfamilie, 75; Kirchmayr, Frauen-
politik, 37–39.
768 Kirchmayr, Frauenpolitik, 82.
769 K. luGmayer, Leos Lösung, 64.
770 KunschaK, Frauenfrage, 35.
771 Kolb, Dr. Hans Gamper, 119.
6.6 DIE FAMILIE 373
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580