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Als für die Österreichidee charakteristisches Merkmal nannte der deut-
sche Historiker den Föderalismus; bis 1918 habe es eine gemeinsame Spitze,
die dem Bund von heute entspräche, nicht gegeben1122; als einigende Fak-
toren hätten der Landesfürst und die gemeinsame Politik gegenüber dem
Reich genügt.1123 Im „Länder- und Ständeföderalismus“ sah Heilig denn auch
noch in der Gegenwart einen letzten Rest des Alten Reichs weiterleben.1124
Die Geschichte des 19. Jahrhunderts kam in der Abhandlung Die öster-
reichische Reichsidee von 1804 bis zum Ende des Weltkrieges von Hermann
Mathias Görgen zum Zuge.1125 Die Begründung des Kaisertums Österreich
im Jahr 1804 bezeichnete er als richtigen Schritt.1126 In den Kriegen gegen
Frankreich ortete er erste Ansätze eines gesamtösterreichischen Bewusst-
seins aller Völker.1127 1848 sei die Errichtung eines Völkerstaates auf der
Basis nationaler Gleichberechtigung und damit die Weckung eines „öster-
reichischen Reichsgefühles“ eines der primären Ziele gewesen.1128 Die Ge-
währung nationaler Autonomien sei „das schönste Vorrecht einer Politik der
Deutschen [...], die sich doch als die kulturell höchststehende Nation“ be-
trachteten. Liberalismus und Nationalismus seien „die beiden geschworenen
Feinde der österreichisch-katholischen Reichsidee“.1129 Den Thronfolger Erz-
herzog Franz Ferdinand lobte Görgen für seine föderalistische Auffassung
vom Staat, aber auch für die Vorstellung, „dass die Politik des Reichs eine
Gewissensangelegenheit des Kaisers sei“.1130
Von den einheimischen Historikern ist als Anwalt der Österreichidee Hugo
Hantsch zu nennen, ein Förderer Heiligs.1131 Aus dem Wissen um die Prob-
leme der jungen Republik stellte er die Geschichtsschreibung in den Dienst
der politischen Bewusstseinsbildung:1132 Wichtig war ihm der – objektiv
freilich anfechtbare – Gedanke, dass die Hausmachtpolitik der Habsburger
niemals nur in eigener Sache, sondern stets im Interesse des Reichs erfolgt
sei.1133 Dies gelte auch für die Zeit nach 1648, als sich der Reichsverband lo-
1122 wolf/heiliG/GörGen, Österreich und die Reichsidee, 90–92 (K. J. heiliG).
1123 wolf/heiliG/GörGen, Österreich und die Reichsidee, 121–125 (K. J. heiliG).
1124 wolf/heiliG/GörGen, Österreich und die Reichsidee, 169 (K. J. heiliG).
1125 seefried, Reich, 173–178 und 420 f.
1126 wolf/heiliG/GörGen, Österreich und die Reichsidee, 177 (H. M. GörGen).
1127 wolf/heiliG/GörGen, Österreich und die Reichsidee, 179 (H. M. GörGen); vgl. GheZZi, Nos-
talgia, 298.
1128 wolf/heiliG/GörGen, Österreich und die Reichsidee, 186 f. (H. M. GörGen).
1129 wolf/heiliG/GörGen, Österreich und die Reichsidee, 234 (H. M. GörGen).
1130 wolf/heiliG/GörGen, Österreich und die Reichsidee, 260–266 (H. M. GörGen).
1131 maurer, Konrad Josef Heilig, 633.
1132 ePPel, Zwischen Kreuz, 136; fellner, Mission, 88–91; fellner, Reichsgeschichte, 364 f.;
Kriechbaumer, Erzählungen, 179.
1133 SZ 26. 11. 1933 (H. hantsch). 6.
STANDESBEWUSSTSEIN410
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580