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ckerte. Maria Theresia habe viele Ratgeber aus Reichsgebieten außerhalb der
Erbländer geholt, daher gelte: „Österreichs Politik kann gar nicht anders als
großdeutsch im Sinne alter Reichspolitik sein.“1134 1804 habe Kaiser Franz
II. die Krone niedergelegt, nachdem die alte Reichsidee durch die Säkulari-
sation ihren Sinn verloren habe; im Kaisertum Österreich habe er dem alten
Reichsgedanken „eine letzte Zufluchtstätte“ geschaffen.1135 1866 habe eine
verhängnisvolle innere Umgestaltung eingesetzt, und die deutschen Öster-
reicher hätten bei den anderen Nationen ihr bisher unumstrittenes Ansehen
verloren.1136 Durch die in diesem zeitlichen Umfeld wachsenden demokrati-
schen Tendenzen, die nach Volkszahlen rechneten, sei die Situation weiter
erschwert worden. Aus diesem Grund habe schon Metternich die Zentralisa-
tion in einem österreichischen Reichsparlament abgelehnt. Erzherzog Franz
Ferdinand habe das Problem der ungarischen Übermacht erkannt und daher
versucht, die beiden Staaten in ein wirkliches „Reich“ umzuformen; hierbei
sollte deutsches Wesen weiterhin ein einigendes Element darstellen.1137
Mit diesem Bild setzte Hantsch den Akzent etwas anders als sein Wiener
Lehrer Heinrich von Srbik, der eine untrennbare Verbindung von österrei-
chischer und deutscher Geschichte annahm1138 und für den die Deutschen
auch nach 1866 „das eigentliche Staatsvolk der Monarchie“1139 geblieben
waren. Das Gefüge des Alten Reichs sei nicht durch die in Österreich vor
sich gehenden Entwicklungen, sondern durch die „Heraufkunft“ Preußens
gesprengt worden: Maria Theresia habe eine „Reichsgesinnung“ besessen,
ihr Gegenspieler Friedrich der Große nicht.1140 Srbiks vom Jahr 1866 ihren
Ausgang nehmende nostalgische Reflexionen über das Reich erreichten über
die SZ ein breites Publikum.1141
Auch in den Reihen der Österreichischen Aktion lebte in der österreichi-
schen Idee der europäische Gedanke weiter.1142 Die deutschen Österreicher
seien kein Stamm wie Bayern oder Sachsen, sondern ein eigenständiges
1134 SZ 10. 12. 1933 (H. hantsch); vgl. suPPanZ, Österreichische Geschichtsbilder, 190–193.
1135 SZ 24. 12. 1933 (H. hantsch).
1136 SZ 14. 1. 1934 (H. hantsch); zu Ansätzen eines Inferioritätsgefühls der Österreicher vgl.
blänsdorf, Österreich, 183.
1137 SZ 15. 4. 1934, 22. 4. 1934 (H. hantsch); ähnlich Helmut Rumplers von Ernst Hanisch
beeinspruchte Deutung des Jahres 1866; hanisch/urbanitsch, Prägung, 98 f.
1138 SZ 29. 3. 1936 (H. v. srbiK); heiss, Im „Reich der Unbegreiflichkeiten“, 464 f.
1139 Zit. nach sutter, Die politische und rechtliche Stellung, 203.
1140 SZ 22. 3. 1936, 29. 3. 1936 (H. v. srbiK); v. hildebrand, Engelbert Dollfuß, 7; vgl. suPPanZ,
Österreichische Geschichtsbilder, 196–199; zu den Wechselbeziehungen zwischen beiden
Herrschern vgl. maZohl-wallniG, Zeitenwende, 210–216.
1141 SZ 29. 3. 1936 (H. v. srbiK); vgl. fellner, Reichsgeschichte, 365–368.
1142 bader, Ernst Karl Winter, 365.
6.8 ÖSTERREICHBEWUSSTSEIN VERSUS NATIONALSOZIALISMUS 411
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580