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reich „um die neue Form des alten Reichsgedankens zu ringen“.1153 Eindring-
lich erläuterte er den Nexus zwischen der Idee von Österreich als Brücke und
Vermittler abendländischer Kultur und personalistischer Philosophie (Kap.
5.6): Er sprach von „der großen erschütternden Frage im Buche der Bücher,
die nicht nur für den einzelnen Menschen, die auch für die Völker gilt: Kain,
wo ist dein Bruder Abel?“1154 Daher betonte er, der Geist Österreichs stehe „in
fruchtbarer Wechselwirkung mit allen europäischen Geistesmächten“. Wien
sei „der Ort, von wo aus die Kulturverbindungen ausgehen und wohin sie zu-
rückkehren. Jeder denkende Österreicher empfand und empfindet diese geis-
tige Verbundenheit mit der Welt als ein innerstes Bedürfnis“.1155
Ein ähnliches Schulerlebnis wie der nachmalige Bundeskanzler in Feld-
kirch hatte Guido Zernatto im ebenfalls von den Jesuiten geführten Gymna-
sium in Kalksburg (Kap. 5.3), wo Söhne alter Familien aus fast allen Teilen
der Monarchie seine Mitschüler gewesen seien.1156 Der Kärntner Dichter
definierte ein Reich als die machtvolle Repräsentanz einer Idee, deren Wir-
kungskreis über Staat und Nation hinausgehe.1157 Der in der Tradition des
Vielvölkerstaates stehende österreichische Mensch verkörperte in seinen
Augen Europäertum.1158 Die österreichisch-ungarische Monarchie bezeich-
nete er als „das Vorbild für ein gesundes Ordnungsprinzip“ im mitteleuropä-
ischen Raum.1159 Ähnliche Gedanken äußerte Karl M. Stepan.1160
Mandatare, die einem politisch aktualisierten Reichsgedanken im Sinn
der Österreichidee verpflichtet waren, waren auch Richard Schmitz1161 und
Karl Lugmayer.1162 Rudolf Henz nannte Österreich „das alte Herzstück des
Reichs“. Als Thema seiner Döblinger Hymnen gab er die „Angst um Europa“
an.1163 Es war ihm wichtig, den Gegensatz zwischen Reich und Hausmacht
nicht allzu sehr zu betonen.1164 Julius Raab sprach vom „Vaterland, das man
das Herzstück Europas“ nenne.1165
1153 CS 24. 12. 1933 (K. schuschniGG); vgl. hoor, Wandlungen, 434–440; schweitZer, Volks-
tumsideologie, 30–33.
1154 CS 17. 6. 1934 (K. schuschniGG); vgl. zu dieser Bibelstelle sPaemann, Personen, 194.
1155 CS 16. 12. 1934 (K. schuschniGG).
1156 in der maur, Einleitung, 20.
1157 Zernatto, Vom Wesen, 188.
1158 Zimmer, Guido Zernatto, 28 f.
1159 Zernatto, Die Wahrheit, 43; vgl. busshoff, Dollfuß-Regime, 28; hanisch, „Christlicher
Ständestaat“, 180; Kriechbaumer, Front, 80.
1160 binder 1982, Karl Maria Stepan, 162; binder, Stepan/Dobretsberger, 9 und 26; G. hart-
mann, Im Gestern, 344.
1161 S. amann, Kulturpolitische Aspekte, 6 f.; Karoshi, Die Erinnerung, 8.
1162 CS 3. 6. 1934 (K. luGmayer).
1163 henZ, Fügung, 188.
1164 henZ, Österreich, 29; vgl. wöGerer, Innere Emigration, 130.
1165 raab, Ansichten, 120.
6.8 ÖSTERREICHBEWUSSTSEIN VERSUS NATIONALSOZIALISMUS 413
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580