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lismen“.1187 Johann Staud stellte 1936, vor dem Juliabkommen, fest: „Wir
ziehen einen dicken Strich nach rechts, gegen alle, die meinen, Österreich
müsse langsam hinüber ins Deutsche Reich. Nein! Wir Österreicher waren
diejenigen, die durch Jahrhunderte die deutsche Kultur geschützt haben,
und sind der Meinung, dass wir es auch in Zukunft, vielleicht mehr als bis-
her, so halten müssen.“1188
Carl Vaugoin war auf eine klare Trennung seines Österreichpatriotismus
von deutschnationalem Denken bedacht; im Heer wollte er ihn in besonderer
Weise kultivieren. Er bezeichnete es als die Tradition Österreichs, immer
zum Schutz des Gesamtdeutschtums zu wirken. Nach 1918 hätten die Sozi-
aldemokraten das Wort von der „notwendigen ‚Entösterreicherung‘“ geprägt,
das jetzt (sc. 1933, E. K.) die Nationalsozialisten übernommen hätten.1189
Mit Genugtuung hob er den Anteil Österreichs an den Kriegen gegen Napo-
leon1190 und am Ersten Weltkrieg hervor. Dies und die von ihm in großer
Zahl aufgelisteten Leistungen in Literatur, bildender Kunst und Wissen-
schaft1191 ließ ihn zu einer superlativischen Formulierung greifen: Der Öster-
reicher sei „der beste Deutsche“1192, er habe „das Deutschtum zum Großteil
mitgeschaffen“.1193
Auf den kulturellen Aspekt setzte auch Dietrich von Hildebrand einen
Schwerpunkt: Er lobte an Österreich, dass es die „Mission“ empfinde, „der
Hüter aller Kulturwerte Deutschlands zu sein in der Stunde tiefster Ernied-
rigung Deutschlands“.1194 Josef Bick trug zu diesem Werk bei, indem er in
der von ihm geleiteten Nationalbibliothek österreichspezifische Leseabende
veranstaltete, u. a. mit Stefan Zweig oder Anton Wildgans, Autoren, die sich
bei aller Liebe zu Österreich und bei allem Stolz auf dieses Land1195 nicht in
Nostalgie ergingen.1196
Weniger eindeutig war das Österreichbewusstsein Franz Karl Ginzkeys:
Zwar gestand er ein, „Durst nach Offenbarungen deutschösterreichischer
1187 Zernatto, Die Wahrheit, 81.
1188 KluwicK-mucKenhuber, Johann Staud, 139.
1189 vauGoin, Hinein, 4; vgl. iber, Vom Syllabus, 14 und 111; staudinGer, Bemühungen, 342–
344 und 351.
1190 Vgl. auch blänsdorf, Österreich, 181; suPPanZ, Österreichische Geschichtsbilder, 206.
1191 vauGoin, Hinein, 6–12.
1192 vauGoin, Hinein, 14.
1193 SZ 4. 2. 1934 (C. vauGoin).
1194 v. hildebrand, Memoiren, 51.
1195 Johnston, Der österreichische Mensch, 214–219; KlotZ, Was wird, 51 f.; Kindermann, Ös-
terreich, 62 f.
1196 GreGor, Josef Bick, 41; Potočnik, Bewusstsein, 134 f., 138–140; vgl. Kindermann, Konser-
vatives Denken, 217; sKalniK, Auf der Suche, 100. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN416
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580