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Erich Braumüller-Tannbruck behandelte dasselbe Thema in populärer,
tendenziell superlativischer Form.1292 Er vermittelte ein Bild der Habsbur-
germonarchie als „Erfolgsgeschichte“, die in der rezenten Forschung einer
geradezu „kolonialen Sichtweise“ zugeschrieben wird. Subsemantisch ist in
seinen Worten die Überzeugung von einem Auftrag im Dienst der Zivilisa-
tion enthalten.1293 Genau dagegen verwahrte sich der CS, der die Deutschen
innerhalb der föderativen Ordnung zwar als Kulturträger und Kulturver-
mittler, aber nicht das herrschende Volk betrachtete.1294
Raimund Friedrich Kaindl bemühte sich um eine akribische Rekonstruk-
tion der Leistungen der Deutschen bei der Errichtung der Infrastruktur, im
Schulwesen, in der Landwirtschaft und im Sozialwesen mehrerer Kronlän-
der, deren Situation er jeweils gesondert analysierte1295 und deren zivilisato-
rischen Rückstand gegenüber Deutschösterreich er hervorhob.1296
Die eben angesprochenen Aspekte des Österreichbewusstseins sind im
gegebenen Kontext nicht zuletzt deshalb von Interesse, weil die Monarchie
häufig als Familie bezeichnet wurde, die den Charakter eines „organischen“
Ganzen habe. Ein prominenter Vertreter dieses Gedankens war Richard
von Kralik, für den Österreich nicht die Summe seiner Völker, sondern de-
ren organische Verbindung war.1297 Anton Klotz begründete seine Kritik
an Saint-Germain damit, dass das alte Österreich zerschlagen worden sei,
„ohne einen besseren Organismus oder auch nur eine gleichwertige Organi-
sation an dessen Stelle zu setzen“.1298
Friedrich Funder verwendete in seiner Stellungnahme zur Zerreißung
der Monarchie den gegenüber „Familie“ älteren Begriff „Haus“ als Metapher
für das Zerstörte: „Auch Staaten sind menschliche Organismen. Sie können
ohne Achtung ihrer Rechtspersönlichkeit und ohne Ehre nicht leben. Die-
ses Reich war nicht die Familienangelegenheit einer Dynastie oder einer
herrschenden Kaste. Es war der Lebensraum einer Völkergemeinschaft, die
das nationale Dasein und die Freiheit kleiner Völker zu behüten hatte. Und
sie behütete auch das Gleichgewicht Europas. Dieses gemeinsame Haus –
mochte der Bau auch Schäden aufweisen – zu verteidigen war eine sittliche
1292 braumüller-tannbrucK, Ostarrichi, 3 f. Die Titel anderer Werke, die nicht eingesehen
werden konnten, lassen auf ähnliche Inhalte und Akzente schließen: Tauriskia. Die Ent-
stehungsgeschichte der österreichischen Alpenländer (1932) und Austria. Von der Mark
zum Weltreich (1933).
1293 suPPanZ, Die Bürde, 303–306.
1294 ebneth, Wochenschrift, 138.
1295 NR 22. 11. 1924 (R. F. Kaindl).
1296 NR 29. 11. 1924, 23. 5. 1925 (R. F. Kaindl).
1297 ramhardter, Geschichtswissenschaft, 59.
1298 KlotZ, Was wird, 11. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN428
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580