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kulturellen Rechte“ begonnen habe.1327 Ähnlich die Einschätzung Walther
Heydendorffs: Österreich sei ein „Völkerstaat, der zum Vorbilde friedlichen
Zusammenlebens kleinerer Volksstämme in engem Raume hätte werden
können, wenn nicht deutschvölkische und magyarische Vorherrschaftsge-
lüste die anderen Völker aus dem ungastlich gewordenen Hause vertrieben
hätten“.1328 Auch Oswald Redlich führte die Entwicklung in Österreich nach
1866 auf Fehleinschätzungen nationaler Interessen zurück.1329 Ludwig Ada-
movich ortete zu Beginn des Ersten Weltkriegs tiefe Gegensätze zwischen
den einzelnen Teilen der Monarchie und ihren Völkern.1330
Dem Ausgleich von 1867, der dem Gedanken eines „Herrenvolks“ ver-
pflichtet gewesen sei, galt auch Max Freiherr von Hussareks Kritik1331,
insgesamt fiel sein Urteil aber positiver aus als das Zeßner-Spitzenbergs,
Görgens und Heydendorffs. Der Krone bescheinigte er, sich gegen die Unter-
drückung der Nationalitäten eingesetzt zu haben1332, und er glaubte feststel-
len zu dürfen, dass die gänzliche Auslöschung der in einer langen Geschichte
gereiften Identität der Kronländer als historisch-politische Individualitäten
auch nach 1867 nicht erfolgt sei, jedenfalls nicht in der Tiefenstruktur; der
Föderalismus sei, wiewohl von der Verfassung abgelehnt, „sozusagen im
rechtspolitischen Unterbewusstsein“ erhalten geblieben. Nach dem Zerfall
der Monarchie sei er so stark zum Durchbruch gekommen, dass die Verfas-
sung ihn „trotz der zentralisierenden Tendenzen der modernen Demokratie“
zur Grundlage des Bundes machen musste.1333
Der Wirtschaftswissenschafter Viktor Kienböck richtete seinen Blick vor
allem auf Osteuropa. Es gehöre zum Wesen dieser Region, dass Nationalitä-
ten „vielfach durch- und übereinandergelagert sind“. Die staatliche Zusam-
menfassung in der Monarchie habe daher eine „unabweisliche Notwendig-
keit“ gebildet. Wien habe nie eine völkerfeindliche Politik betrieben; in der
Spätphase der Monarchie seien die Ziele allerdings so gesetzt worden, dass
sie nicht mehr erreichbar gewesen seien.1334
Geradezu idealisierende Beschreibungen des Neben- bzw. Miteinanders
der Nationen finden sich in den literarischen und publizistischen Arbeiten
1327 wolf/heiliG/GörGen, Österreich und die Reichsidee, 233 (H. M. GörGen); vgl. seefried,
Reich, 174 f.
1328 heydendorff, Österreich, 12.
1329 redlich, Ausgewählte Schriften, 49.
1330 adamovich, Grundriss, 21.
1331 Dies hängt mit der negativen Bewertung der Niederlage von Königgrätz zusammen; suP-
PanZ, Österreichische Geschichtsbilder, 219–222.
1332 NR 17. 10. 1920 (M. v. hussareK).
1333 SZ 22. 11. 1929 (M. v. hussareK).
1334 KienböcK, Sanierungswerk, 7–9. 6.
STANDESBEWUSSTSEIN432
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580