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von Guido Zernatto1335 und Franz Karl Ginzkey. Ginzkey lobte das „öster-
reichische System der Vielsprachigkeit“, das auch in der Armee Akzeptanz
finde, selbst wenn es mitunter versage.1336 Jede Nation habe gebracht, was
sie zu bieten hatte, jeder sei ihr Selbstbewusstsein gelassen, ihre Wesensart
gewürdigt worden, „und alles dies um eines Ganzen willen, in dessen wun-
dersame Farbigkeit kein Missklang geraten durfte“.1337 Er zeigte aber auch
Verständnis, wenn einzelne Völker sich zu behaupten versuchten; dies sei
etwas Naturhaftes und könne nicht als verwerflich gelten.1338
Die eben dargelegten unterschiedlichen Einschätzungen der Nationa-
litätenpolitik der Monarchie verdichten sich in den Aussagen der beiden
Kanzler des Ständestaates. Für Engelbert Dollfuß war das friedliche Zu-
sammenleben der Deutschen mit anderen Nationen ein Wesensmerkmal der
Geschichte Österreichs.1339 Kurt Schuschnigg hingegen bemerkte zur politi-
schen Situation am Vorabend des Ersten Weltkriegs: „Nur eine kluge, unbe-
einflussbare autoritäre Führung, die auf organische Entwicklung Bedacht
genommen, die im richtigen Augenblick durch nationale Föderalisierung die
Monarchie zum wirklichen Reich, bestehend aus autonomen Gebieten, um-
gebaut hätte, [...] hätte nach menschlichem Ermessen das alte Österreich zu
neuem Leben erweckt.“1340 Dass er sich zu diesem historischen, aber genuin
ständischen Thema im Irrealis äußerte, entspricht in vielem seinem Verhal-
ten im politischen Tagesgeschäft …
1335 Zimmer, Guido Zernatto, 17.
1336 GinZKey, Heimatsucher, 102 f.
1337 GinZKey, Heimatsucher, 147.
1338 GinZKey, Heimatsucher, 165.
1339 dollfuss an österreich, 55 f.
1340 K. schuschniGG, Dreimal, 30.
6.8 ÖSTERREICHBEWUSSTSEIN VERSUS NATIONALSOZIALISMUS 433
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580