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Bereitschaft für diesen Gedanken.“59
In ähnlicher Weise beschrieb Karl Lugmayer die Vorzüge der Genossen-
schaft.60 An der Raiffeisenkasse lobte er, dass ihr Prinzip nicht nur auf dem
Besitz, sondern auf der persönlichen Vertrauenswürdigkeit beruhe: „Das ist
ein echt ständisches Element, das Element der Verantwortung.“61
Engelbert Dollfuß hatte als Student in Berlin eine wissenschaftliche Ar-
beit über das Genossenschaftswesen verfasst.62 Er nannte es „eine Einrich-
tung christlicher Nächstenliebe“63, die dem Einzelnen die Wirtschaft nicht
abnehme, sondern seine Selbständigkeit aufrecht halte.64 Primäres Ziel
seien nicht Profit, sondern Vorteile für alle in gegenseitiger Fürsorge.65 Au-
ßer den landwirtschaftlichen Genossenschaften waren Dollfuß auch die ge-
werblichen wichtig.66 Für Kurt Schuschnigg stellte zumal in der Landwirt-
schaft genossenschaftliche Hilfe die bessere Alternative dar als markt- und
erwerbswirtschaftliche Kriterien.67
Für einige Mandatare bildeten Genossenschaften ihre politische Heimat,
insbesondere für Johann Blöchl, Leopold Figl, Florian Födermayr oder Josef
Reither.68 Lorenz Karall wirkte am Aufbau des landwirtschaftlichen Genos-
senschaftswesens im Burgenland mit und gründete Raiffeisenkassen und
Milchgenossenschaften.69
Geradezu als Pionier des Genossenschaftswesens darf Rudolf Buchin-
ger bezeichnet werden70, dessen besonderes Interesse den Raiffeisenkassen
galt.71 Die für ihn wesentliche Eigenschaft dieser seit dem späten 19. Jahr-
hundert bestehenden Institute umschrieb er mit dem Attribut „erhaben“
– wie überhaupt seine Begrifflichkeit dazu angetan ist, Wirtschaftswissen-
schaft in ihrer Einbindung in ein übergeordnetes System ethischer Werte zu
begreifen. Die von Buchinger genannten leitenden Gedanken des Systems
entsprechen dem Verständnis des Menschen als Person und des Standes als
59 CS 26. 1. 1936 (J. resch).
60 K. luGmayer, Grundrisse, 183–186.
61 CS 26. 8. 1934 (K. luGmayer).
62 miller, Engelbert Dollfuß, 34–36 und 90; vgl. KluGe, Dollfuß, 132.
63 dollfuss an österreich, 181.
64 dollfuss an österreich, 158.
65 miller, Engelbert Dollfuß, 36; walther, Die bäuerlichen Produktionsverhältnisse, 215.
66 dollfuss an österreich, 189; vgl. eminGer, Das Gewerbe, 75.
67 binder/H. schuschniGG, „Sofort vernichten“, 324.
68 braZda/schediwy/todev, Selbsthilfe, 189 und 207; lebensaft/mentschl, Feudalherren, 28,
45, 51 und 106–108; slaPnicKa, Oberösterreich, 50 und 83.
69 wurm, Dr. Lorenz Karall, 4.
70 Kriechbaumer, Dieses Österreich, 251 und 337; lebensaft/mentschl, Feudalherren, 28–30;
tálos, Handbuch, 366 (E. brucKmüller).
71 buchinGer, Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen, 3–5.
7.3 EXKURS: DAS GENOSSENSCHAFTSWESEN 441
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580