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4.2). Daher erhob die berufsständische Ordnung in Anlehnung an Othmar
Spann109 Sachverständigkeit zur politisch maßgeblichen Kategorie. Dies
wurde einerseits als Aspekt von Entpolitisierung betrachtet110, andererseits
schwang die von Kurt Schuschnigg ausgesprochene Überzeugung mit, dass
nicht grundsätzlich jeder zur Politik fähig sei: Die Stimme eines verdienten
Bürgers müsse mehr Gewicht haben als eine andere.111 Otto Ender erklärte:
„Demokratie ist immer dort glücklich und am Platze, wo sie sich mit Dingen
befasst, die ihrem Wesen und Ideenkreis nahe liegen und die sie überschaut.
Demokratie entartet immer dort, wo der gewöhnliche Mann zu Entscheidun-
gen über Dinge berufen wird, die er nicht mehr überschaut.“112
Konstantin von Hohenlohe trat dafür ein, nach dem Vorbild der Kirche
den Zugang zu einem Stand durch hohe Anforderungen an die Professiona-
lität schwierig zu gestalten.113 Demselben Grundsatz war Philipp Bugelnigs
Begriff der „Gleichartigkeit“ geschuldet: Die naturgegebene Zweckmäßigkeit
der Organismen bewirke, dass Fremdkörper abgestoßen würden.114
Johann Staud betonte den Zusammenhang zwischen Professionalität und
Berufsethos.115 Für Bartholomäus Fiala war die berufsständische Ordnung
„die einzig mögliche Organisation des Volkes auf sachlicher Grundlage“.116
Georg Moth sah darin eine Garantie für das rechte Verhältnis zwischen Mit-
bestimmung und Überwachung und für die Führung durch die Besten.117
Aus der im Stand herrschenden Sachverständigkeit und Verantwortung
und der daraus resultierenden Ehre wurde – in Anlehnung an Othmar
Spann118 – dessen Recht auf Selbstverwaltung abgeleitet119: Es gebe Angele-
genheiten, die von den Vertretern des jeweiligen Berufs am besten erledigt
werden könnten – und daher, so Ulrich Ilg, diesen überlassen werden soll-
ten.120 August Zell war überzeugt: „Was einer in seinem Fache leistet, das
109 sPann, Der wahre Staat, 230.
110 orGler, Ständestaat, 206.
111 K. schuschniGG, Dreimal, 117; vgl. auch H. dachs, Franz Rehrl, 256; hanisch, Franz Rehrl, 24.
112 adam, Staatsprogramm, 65 f.; CS 4. 11. 1934 (O. ender); vgl. CS 16. 12. 1934 (E. mar-
Garétha); KlotZ, Sturm, 48.
113 hohenlohe, Der Ständestaat, 4–6.
114 buGelniG, Der Ständestaat, 13.
115 staud, Berufsauffassung, 5 und 9 f.; vgl. hanisch, Traditionelle Männlichkeitsrollen, 223.
116 fiala, Die berufständische Organisation, 4.
117 moth, Neu-Österreich, 60 f. und 95.
118 sPann, Der wahre Staat, 229 f.; vgl. bohn, Ständestaatskonzepte, 30.
119 adam, Staatsprogramm, 64; K. luGmayer, Grundrisse, 142; K. luGmayer, Linzer Programm,
64; R. schmitZ, Die berufsständische Neuordnung, 16; H. schmitZ, Die berufsständische
Ordnung, 13; vgl. bohn, Ständestaatskonzepte, 16; senft, Im Vorfeld, 64; simonett, Die
berufsständische Ordnung, 98–103.
120 ilG, Uns alle, 47. 7. DIE BERUFSSTÄNDISCHE
ORDNUNG446
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580