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die aristotelische Unterscheidung zwischen Herrschenden und Dienenden,
deren Aufgaben und wechselseitige Funktionen in der Polis dem Verhältnis
zwischen Seele und Körper entsprächen, ist dabei von Belang.164 Hier stand
nicht ein der Realität angemessenes Ordnen im Vordergrund, sondern die
Ordnung selbst, der nicht empirisch-sozial, sondern normativ-ethisch begrif-
fene ordo165, in dem das Ganze nicht die Summe der Einzelnen ist, sondern
der/das Einzelne als Teil der Totalität zu gelten hat.166 Stände werden somit
zu „Monaden einer am Organischen sich orientierenden Gesellschaft“.167
Eines der dominanten Merkmale der so verstandenen Gesellschaft war
die Ungleichheit ihrer Glieder/Organe. 1934 sprach Johann Kleinhappl SJ
die Unterschiedlichkeit der Fähigkeiten, Anlagen und Neigungen der Men-
schen an: Arbeitsteilung und wechselseitige Ergänzung seien Gesetze der
Natur.168 Auch Franz Rehrl betonte diesen Gedanken.169 Anton Thir illust-
rierte ihn mithilfe von Bildern aus der Bibel: Nichts habe Gott umsonst ge-
schaffen, fehle ein Glied, sei es außerordentlich schwer, dass die Verrichtung
durch ein anderes geschehe.170
Kurt Schuschnigg war überzeugt, „dass der eine Stand nicht atmen
kann, wenn der andere erstickt“, und dass eine „sinngemäße(n) Gestaltung“
dann gegeben sei, wenn „jeder, der etwas taugt und leisten will, aus wel-
chem Berufsstand er immer kommt, ob er selbständig oder unselbständig
ist, mitgestalten kann, um das gemeinsame Schicksal zu formen“.171 Sonde-
rinteressen, so der Kanzler, hätten in einer Gemeinschaft keinen Platz.172
Am meisten gelte dies für Verantwortungsträger.173 Felix Klezl übertrug
das Bild des Organismus vom Berufsstand auf den Betrieb, den er mit ei-
60; SZ 27. 4. 1930 (F. X. eGGersdorfer). Zur Gliedstellung der Stände im Ganzen vgl. orG-
ler, Ständestaat, 211; senft, Im Vorfeld, 63; simonett, Die berufsständische Ordnung, 12
und 103–105; stollberG-rilinGer, Der Staat, 41.
164 GG 4 (1978), 523–525 (Organ, G. dohrn-van rossum); GG 6 (1990), 160–162 (Stand/Klasse,
O. G. oexle); senft, Glanz, 15.
165 GG 6 (1990), 200 f. (Stand/Klasse, W. conZe) und 219 (Stand/Klasse, R. walther).
166 mannheim, Konservatismus, 134.
167 Kriechbaumer, Front, 20.
168 CS 23. 12. 1934 (J. KleinhaPPl).
169 CS 4. 2. 1934 (F. rehrl).
170 Rö 12, 4; thir, Frauengestalten 2, 294 f.
171 adam, Staatsprogramm, 18.
172 adam, Staatsprogramm, 61.
173 adam, Staatsprogramm, 38; ähnlich baumGartner, Arbeit und Erwerb, 82–84; R. schmitZ,
Das christlichsoziale Programm, 7 und 14; SZ 17. 6. 1934 (R. schmitZ); Karl Flödl aktuali-
sierte diesen Gedanken mit Blick auf die Gewerkschaft der graphischen und papierverar-
beitenden Arbeiter und Arbeiterinnen; flödl, Drei Jahre, 6.
7.4 ASPEKTE DER BERUFSSTÄNDISCHEN ORDNUNG 451
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580