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egoistische Anwandlungen, die sicher auch vorhanden waren, wenn es um
Wichtiges ging, scheiterten.“183
Hinsichtlich des Stellenwerts der Körpermetapher bestanden zwischen
Universalismus und Solidarismus graduelle Unterschiede. Der Universa-
lismus setzte den Akzent auf die „organische Ungleichheit“, ein Gesetz der
Natur, das unabhängig von der Tatsache gelte, dass alle Glieder bei der Er-
reichung des gemeinsamen Zieles gleich wichtig seien.184 Der Solidarismus
drückte sich verhaltener aus: Zwar ergebe sich der Platz eines jeden Glieds
aus dessen Leistung innerhalb des Organismus, das Bild des Organismus
sei aber nur teilweise tragfähig, weil dort jede Zelle ihren unveränderlichen
Platz habe, während dies für die Gesellschaft nicht gelte.185 Oswald von
Nell-Breuning verdeutlichte das Wesen des Menschen durch die Abgrenzung
vom Sandhaufen, dessen Körner einer Ordnung unfähig seien. Dadurch si-
cherte er ihm seinen Vorrang vor der Gesellschaft.186
Gemeinschaft der Interessen?
Die Gliedstellung des Einzelnen gelte nicht nur innerhalb des Stands, son-
dern auch im Verhältnis der Stände zueinander: Auf diese einfache Formel
brachte Oskar Zaglits die Position vieler Zeitgenossen, für die Stand keine
soziologische Kategorie, sondern ein Gesinnungsprinzip war.187 Richard
Schmitz bestimmte dieses Verhältnis in Anlehnung an Thomas von Aquin:
„Ordnung ist Einheit in wohlgegliederter Vielheit.“188
Den sachlichen Erfordernissen des Gemeinwohls vor den „Gruppeninte-
ressen“ (nach anderer Diktion: „Sonderinteressen“ bzw. „Gesamtwohl“189)
Geltung zu verschaffen, war für Johannes Messner geradezu das „Mark“ der
berufsständischen Ordnung, das, was sie vom Indifferentismus des Individu-
alismus unterscheide.190 Durch Abschließung der Stände voneinander würde
die Gesellschaft zu einer bloßen Summe, einem Neben-, nicht Ineinander.191
183 Kolb, Das Tiroler Volk, 23.
184 sPann, Der wahre Staat, 188; StL 1932, 72–76; 1933, 358–360 (O. sPann).
185 beyer, Ständeideologien, 130.
186 bohn, Ständestaatskonzepte, 51–53; vgl. SZ 27. 4. 1930 (F. X. eGGersdorfer).
187 ZaGlits, Bewegung, 13; vgl. streitenberGer, Leitbild, 136.
188 R. schmitZ, Der Weg, 23 f.; ähnlich H. schmitZ, Die berufsständische Ordnung, 13; A. M.
weiss, Individuum, 13; vgl. F. luGmayer, Karl Lugmayer, 26; PytliK, Berufsständische Ord-
nung, 23.
189 struber, Österreichs Wiederaufbau, 76.
190 messner, Ordnung, 13 f.; vgl. PytliK, Berufsständische Ordnung, 103–106.
191 K. luGmayer, Grundrisse, 137.
7.4 ASPEKTE DER BERUFSSTÄNDISCHEN ORDNUNG 453
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580