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viel zu sehr als Mittel zur Vertretung ‚ständischer Interessen’ aufgefasst.“205
Franz Karl Ginzkey glaubte eine „Abschließung der Stände“ festzustellen,
die bedauerlich sei.206 Ludwig Hülgerth thematisierte die Gefahr der „reinen
Interessenvertretung“ in Hinblick auf die Gemeindetage und Landtage.207
Eine neutrale Verwendung von Begriffen wie „Interessensphären“ oder „In-
teressenkreis“ im Diskurs über die berufsständische Ordnung ist bei Ernst
Karl Winter zu beobachten.208
Sehr realitätsnah auch die Einschätzung Oskar von Hohenbrucks: „Es
wäre eine Utopie zu glauben, dass im Ständestaat voller Friede zwischen
den Ständen herrschen wird“, aber es sei zu hoffen, „dass die Form des
Kampfes eine weniger scharfe sein wird“.209 Auch Hans Schmitz glaubte
nicht, dass sich im Berufsstand Interessengegensätze ausgleichen ließen,
aber sie würden aufhören, „Unordnungsprinzip für die Gesellschaft“ zu
sein.210
Stand versus Klasse
Ein zentrales Anliegen der Vordenker des österreichischen Ständestaates
war die Abgrenzung des Begriffs „Stand“ von dem der „Klasse“.211 Nach ei-
nem entsprechenden Versuch Max Webers im Jahr 1922212 hatte Ignaz
Seipel 1929, im Vorfeld der Verfassungsnovelle, den Unterschied in der
Reichs
post beschrieben: Der Stand sei eine vertikale Gliederung der Gesell-
schaft, die alle in einem Arbeitsgebiet Tätigen verbindet, die Klasse eine ho-
rizontale, die unter gleichen oder ähnlichen Lebensbedingungen Stehende
umfasst; beide seien nicht miteinander vereinbar.213 Für Othmar Spann war
„Stand“ eine universalistische, „Klasse“ eine individualistische Kategorie.214
205 messner, Ordnung, 19; ähnlich CS 3. 6. 1934 (K. luGmayer).
206 GinZKey, Heimatsucher, 107.
207 CS 16. 12. 1934 (L. hülGerth).
208 winter, Arbeiterschaft, 28.
209 v. hohenbrucK, Zur Frage, 27.
210 H. schmitZ, Die berufsständische Ordnung, 14.
211 H. schmitZ, Die berufsständische Ordnung, 12; hanisch, Konservatives und revolutionäres
Denken, 215 f.; hanisch, Der lange Schatten, 315–317; huber, Die Verfassung, 26 und 29;
KluwicK-mucKenhuber, Johann Staud, 103; schmit, Christliche Arbeiterbewegung, 27 f.;
streitenberGer, Leitbild, 167; tálos/manoscheK, Austrofaschismus, 113.
212 weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 177–180.
213 seiPel, Der Kampf, 204; buGelniG, Der Ständestaat, 87; vgl. burZ, Philipp Bugelnig, 161;
hanisch, Der Politische Katholizismus, 81–83; Knoll, Das Ringen, 20; KlotZ, Probleme 2,
159–161.
214 meyer, Stand, 201. Ähnliche Gedanken vertrat W. Heinrich; dassel, Gegen Parteienstaat, 29 f.
7.4 ASPEKTE DER BERUFSSTÄNDISCHEN ORDNUNG 455
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580