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gleichheit der Menschen bedeutet.224 Dies musste aber keine völlig statische
Gesellschaft zur Folge haben. Eric Voegelin etwa hob hervor, dass die verti-
kale Gliederung innerhalb der Stände Aufstiegsmöglichkeiten biete.225 Ger-
trud Spinnhirn betonte den „Grundsatz der Leistung und Fähigkeit“226, und
Richard Schmitz begrüßte es, dass „Begabten und Fleißigen“ der Aufstieg
möglich sei.227
Argumente für den Vorrang des Stands glaubte man in Gestalt der Frage
nach den Ursachen des Bestehens von Klassen zu finden. August M. Knoll
gab die Trennung von Besitz und Arbeit228, Karl M. Stepan von Kapital und
Arbeit an. Daher sei „das Hinaufrücken der Arbeiterklasse in die Klasse der
Besitzer“ wünschenswert.229 Friedrich von Weichs machte die „liberal-sozi-
alistische Wirtschaft“, durch die geradezu Kasten entstanden seien, für die
Klassenbildung verantwortlich230, Philipp Bugelnig die Lösung natürlicher
Bindungen.231
Mögliche Überschneidungen der Begriffe „Stand“ und „Klasse“ veran-
schaulichte August Zell, indem er von „Schichten innerhalb der Stände“
sprach: „Dies allein ist organisch gliedern, einfach und klar scheiden, um
wieder zu verbinden: vertikale Scheidung in Stände, erst innerhalb der-
selben horizontale Schichtung. Das Gegenteil davon aber, trennen um zu
spalten, zersetzen, vernichten, wäre die sogenannte Querverbindung. Zuerst
horizontal spalten und dann diese Schichten untereinander – quer durch
mehrere oder alle Stände hindurch – verbinden wollen. So erhält man nur
Klassen und nicht Stände.“ Er räumte freilich ein, dass die Schichtung in-
nerhalb der Stände unscharf sei und dass es Überschneidungen gebe, etwa
bei besitzenden Bauern, die auch als Taglöhner für andere arbeiten. Die
Klassen nannte er „Kunstgebilde, Teufelswerk. Klassenkampf ist Volksver-
nichtung“.232
Ähnlich beschrieb Aurel Kolnai den Unterschied zwischen Stand und
Klasse: Es gehe nicht um „waagrecht ausgedehnte Stände, die in senkrech-
ter Ordnung übereinander geschichtet sind, sondern [um] senkrecht zusam-
mengefasste Stände, die als gleichberechtigt waagrecht nebeneinander ste-
hen“. „Klasse“ klang für ihn „revolutionär-unzufrieden“, „Stand“ hingegen
224 v. hohenbrucK, Zur Frage, 5.
225 voeGelin, Staat, 207.
226 sPinnhirn, Agrarpolitik, 70.
227 R. schmitZ, Der Weg, 29.
228 Knoll, Ziel, 11.
229 adam, Staatsprogramm, 78.
230 v. weichs, Der Weg, 13.
231 buGelniG, Der Ständestaat, 46 f.
232 Zell, Ständische Staats-Gliederung, 15–17.
7.4 ASPEKTE DER BERUFSSTÄNDISCHEN ORDNUNG 457
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580