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Aufbau zunächst niemand zur Verfügung. 1936 war von der Bildung eines
Ministerkomitees die Rede.252 1937 wurden die Agenden an Ender, nun als
Regierungsberater, zurückgegeben.253 Friedrich von Weichs war zuversicht-
lich, dass nunmehr dem vom Bundeskanzler angekündigten Abschluss des
ständischen Aufbaus bis zum 1. Mai 1938 nichts mehr im Wege stehe.254 Für
diesen waren drei Stufen vorgesehen: Zuerst sollten die Arbeitnehmer, dann
die Unternehmer ständisch organisiert, zuletzt die entsprechenden Organi-
sationen zusammengelegt werden.255
Den Verantwortlichen war klar, dass Zwang beim Aufbau der berufsstän-
dischen Ordnung nicht angebracht sein würde. Was von Seiten der Regierung
an Organisationsarbeit erfolgte, nämlich die Schaffung von Bünden als Mo-
nopolorganisationen der jeweiligen Branche aufgrund territorialer und fach-
licher Gesichtspunkte256, rechtfertigte Hans Karl Zeßner-Spitzenberg 1936
mit der Notwendigkeit, etappenweise vorzugehen, aber „die einleitende Er-
nennung der Berufsstandsorgane von oben“ sei als „Zwischenform“ zu verste-
hen.257 1938 erklärte auch Odo Neustädter-Stürmer, die Organisation dürfe
nicht nach starren Prinzipien erfolgen, sondern müsse der Vielfalt wirtschaft-
lichen Lebens Raum geben.258 Die christlichen Arbeiterführer hatten diesbe-
züglich schon 1934 festgehalten, wichtiger als eine bis in alle Einzelheiten
durchgebildete Organisation sei das Erwecken einer berufsständischen Ge-
sinnung; es dürfe nicht dazu kommen, dass die Menschen den Strukturen ge-
opfert würden. In diesem Sinne vermied Johann Staud, der 1935 eine Delega-
tion des Gewerkschaftsbunds nach Rom anführte, im Gespräch mit Mussolini
mit Bedacht jegliches Lob der faschistischen Einrichtungen.259
Der CS legte Wert darauf, Ignaz Seipels Mahnungen zu einem langsamen,
behutsamen Vorgehen in Erinnerung zu rufen, weil die zu lösende Aufgabe
in höherem Maß eine gesellschaftliche als eine politische sei.260 Anton Klotz
gab zu bedenken, die Entwicklung der neuen Ordnung hänge nicht von der
staatlichen Organisation, sondern „von der verständnisvollen Mitarbeit aller
wohlmeinenden Menschen“ ab.261 Auch Bundeskanzler Schuschnigg war ein
252 PMR IX/6, Prot. 1043/6 (4. 11. 1936), 365 f.
253 wanner, Otto Ender, 167; wohnout, Verfassungstheorie, 498 f.
254 CS 23. 5. 1937 (F. v. weichs).
255 PutscheK, Ständische Verfassung, 75; stimmer, Eliten, 768; tálos, Herrschaftssystem
(2013), 129–133; unterrainer, Wirtschaftspolitik, 42–44.
256 PutscheK, Ständische Verfassung, 77–89.
257 CS 18. 3. 1934 (H. K. Zeßner-sPitZenberG); CS 3. 5. 1936 (H. K. Zeßner-sPitZenberG).
258 neustädter-stürmer, Gesetzgebung, 12–19.
259 KluwicK-mucKenhuber, Johann Staud, 93–95.
260 CS 14. 1. 1934 (E. Prettenhofer).
261 KlotZ, Sturm, 43. 7. DIE BERUFSSTÄNDISCHE
ORDNUNG460
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580