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nicht nur das Prinzip „von unten nach oben“ verletzt, sondern glaubte auch,
man würde „die alten Klassengegensätze einstweilen organisatorisch weiter-
schleppen“.275 Gleichwohl hörte er bis zum Ende des berufsständischen Ex-
periments nicht auf, die Schritte des Bundeskanzlers als vorläufige Maßnah-
men zu rechtfertigen, die aus der Not der Zeit heraus zu verstehen seien.276
Die Leitung des Gewerkschaftsbunds wurde Johann Staud übertragen,
der sich als engagierter Anwalt desselben präsentierte.277 Die horizontale
Gliederung hielt er mit dem berufsständischen Aufbau für vereinbar, sie sei
eine „natürliche Querverbindung“.278 Argumentationshilfe leisteten ihm Karl
Lugmayer279, Karl Flödl280, Friedrich Funder281, Richard Schmitz282, Josef
Dobretsberger283 und Anton Klotz.284
Als selbstbewusster Kämpfer für die Arbeiterschaft285 billigte Staud trotz
grundsätzlich guten Einvernehmens mit Dollfuß286 nicht die autoritäre Art
der Bestellung der Funktionäre.287 Seine Bemühungen, den Gewerkschafts-
gedanken theoretisch zu verankern288, erfolgten im Rahmen des realpolitisch
Möglichen: „Sozialpolitik um jeden Preis“ sei „ein Unding“.289
Während Staud zuversichtlich war, dass der Gewerkschaftsbund auch
nach Abschluss des berufsständischen Aufbaus bestehen bleiben würde290,
hielt Odo Neustädter-Stürmer diesen für eine vorübergehende, nach dem Er-
reichen des Ziels entbehrliche Erscheinung.291
Hans Bayer hob die Gliederung des Gewerkschaftsbunds in fünf Berufs-
verbände hervor, welche die organisatorische Zusammenarbeit mit den
275 CS 4. 11. 1934 (O. ender).
276 MSchKP 3, 53–56.
277 CS 26. 1. 1936 (J. staud); Mitglied des Vorstands war Lois Weinberger, ehemaliger Sekre-
tär der Gewerkschaft der christlichen Angestellten; Pasteur, Kruckenkreuz, 78 f.
278 Zit. nach KluwicK-mucKenhuber, Johann Staud, 72.
279 K. luGmayer, Grundrisse, 78.
280 flödl, Drei Jahre, 11 f.
281 funder, Sturm, 169 f.
282 PMR VIII/5, Prot. 912/8 (21. 12. 1933), 264; braun, Der politische Lebensweg, 255 f.
283 binder, Stepan/Dobretsberger, 37.
284 KlotZ, Probleme 2, 166 f.
285 KluwicK-mucKenhuber, Johann Staud, 75.
286 schmit, Christliche Arbeiterbewegung, 88 f.
287 unterrainer, Wirtschaftspolitik, 47.
288 staud, Berufsauffassung, 8 und 15.
289 CS 26. 1. 1936 (J. staud).
290 staud, Berufsauffassung, 7; vgl. binder, Der „Christliche Ständestaat“, 215; heinZ, E. K.
Winter, 264; PutscheK, Ständische Verfassung, 95.
291 beyer, Ständeideologien, 131; GoldinGer/binder, Geschichte, 227; KluwicK-mucKenhuber,
Johann Staud, 72; PutscheK, Ständische Verfassung, 95; reichhold, Geschichte, 523; un-
terrainer, Wirtschaftspolitik, 46. 7. DIE BERUFSSTÄNDISCHE
ORDNUNG462
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580